Vorübergehend tot
sagen konnte, ob er einem Mann Geld leihen sollte, der einen Laden für Autoersatzteile aufmachen wollte, bat er mich, im Zimmer zu bleiben, als der Mann uns besuchen kam. Nachdem der Mann dann gegangen war, trat mein Vater mit mir vor die Tür, sah betreten zur Seite und fragte: 'Sookie, sagt er die Wahrheit?' . Das war vielleicht ein merkwürdiger Augenblick!“
„Wie alt waren Sie da?“
„Ich war noch keine sieben, denn meine Eltern starben, als ich in die zweite Klasse ging.“
„Wie starben Ihre Eltern?“
„Ein überraschende Sturmflut hat sie auf der Brücke erwischt, die westlich von hier über den Fluß führt.“
Dazu sagte Bill nichts. Natürlich hatte er unzählige Tode gesehen.
„Hatte der Mann gelogen?“ fragte er dann, nachdem ein paar Sekunden verstrichen waren.
„Aber ja doch. Er hatte vor, Dads Geld zu nehmen und sich abzusetzen.“
„Sie verfügen über eine Gabe.“
„Aber sicher doch: eine Gabe!“ Ich spürte, wie meine Mundwinkel sich nach unten senkten.
„Das unterscheidet Sie von anderen Menschen.“
„Was Sie nicht sagen.“ Einen Augenblick lang gingen wir schweigend nebeneinander her. „Sie selbst betrachten sich also gar nicht mehr als menschlich?“
„Schon seit langem nicht mehr.“
„Glauben Sie wirklich, Sie hätten Ihre Seele verloren?“ Das predigte die katholische Kirche nämlich zum Thema Vampire.
„Ich habe keine Möglichkeit, das herauszufinden“, erwiderte Bill, und es klang fast beiläufig. Offensichtlich hatte er über dieses Thema so oft und so lange nachgedacht, daß der Gedanke für ihn etwas ganz Gewöhnliches war. „Ich persönlich glaube es nicht. In mir ist etwas, das nicht grausam ist, nicht mordlüstern, selbst nach all den Jahren nicht. Auch wenn ich beides sein kann, grausam und mordlüstern.“
„Es ist schließlich nicht Ihre Schuld, daß Sie mit diesem Virus infiziert wurden.“
Bill schnaubte und schaffte es selbst dabei, elegant zu wirken. „Theorien gibt es, seit es Vampire gibt. Vielleicht ist diese ja die richtige.“ Dann sah er mich an, als täte es ihm leid, so etwas gesagt zu haben. „Wenn das, was einen Vampir zu einem Vampir macht, ein Virus ist“, fügte er wie nebenbei hinzu, „dann ist es ein sehr selektives Virus.“
„Wie sind Sie Vampir geworden?“ Ich hatte ja allerhand zu diesem Thema gelesen, aber nun würde ich es aus erster Hand erfahren können.
„Dazu müßte ich Sie ausbluten, entweder in einer einzigen Sitzung oder auf zwei, drei Tage verteilt, bis Sie kurz davor sind, zu sterben.
Dann müßte ich Ihnen mein Blut geben. Sie würden etwa 48 Stunden wie tot wirken, das kann sogar bis zu drei Tagen dauern. Danach würden Sie sich erheben und fortan die Nacht bevölkern - und Sie wären hungrig.“
Mich schauderte bei der Art, wie er 'hungrig' sagte.
„Anders geht es nicht?“
„Andere Vampire haben mir erzählt, Menschen, von denen sie sich regelmäßig jeden Tag nährten, hätten sich plötzlich und unerwartet in Vampire verwandelt. Aber dazu ist erforderlich, daß man sich wirklich kontinuierlich und auch sehr ausführlich nährt. Andere Menschen wiederum werden unter denselben Umständen nur blutarm, und wenn ein Mensch am Abgrund des Todes steht, nach einem Autounfall etwa oder weil er eine Überdosis Drogen konsumiert hat, und man versucht, ihn zu wandeln, dann kann das ganze Verfahren auch drastisch schieflaufen.“
Mir wurde allmählich immer mulmiger zumute. „Es wird Zeit, daß wir das Thema wechseln. Was haben Sie mit dem Land der Comptons vor?“
„Ich gedenke, dort zu wohnen, solange ich irgend kann. Ich habe es satt, ständig umherzuziehen. Ich bin auf dem Land groß geworden. Nun, wo mir das Gesetz das Recht zu leben zubilligt und ich nach Monroe oder Shreveport oder New Orleans gehen kann, um mir synthetisches Blut zu besorgen oder eine Prostituierte, die sich auf unsereins spezialisiert hat, möchte ich gern hier bleiben. Ich will zumindest herausfinden, ob es geht. Jahrzehntelang war ich immer nur unterwegs.“
„In welcher Verfassung ist das Haus?“
„In schlechter“, mußte Bill zugeben. „Ich habe versucht, es zu entrümpeln. Das kann ich nachts tun. Aber ich brauche Handwerker, um Reparaturen vornehmen zu lassen. Als Zimmermann bin ich nicht schlecht, aber von Elektrizität habe ich nicht den leisesten Schimmer.“
Natürlich nicht, wie sollte er auch.
„Ich habe das Gefühl, das Haus könnte ganz gut neue Leitungen vertragen“, fuhr Bill fort und klang
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