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Vorübergehend tot

Vorübergehend tot

Titel: Vorübergehend tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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aber so ein Verhalten ist einfach schrecklich einem Menschen gegenüber, mit dem man zusammen lebt, und so hütete ich mich davor. Oma selbst trug eine Kombination aus Rock und Bluse, die sie oft zu den Treffen der Nachkommen ruhmreicher Toter anzog; nicht gut genug für den Kirchgang, aber auch nicht schlicht genug, um tagtäglich getragen zu werden.
    Als er kam, fegte ich gerade die vordere Veranda, die wir vergessen hatten. Er legte einen Vampirauftritt hin: In der einen Sekunde war noch nichts von ihm zu sehen und zu hören, in der nächsten stand er bereits am Fuß der Treppe und sah zu mir hoch.
    Ich grinste. „Hat mich nicht erschreckt“, sagte ich.
    Er wirkte etwas peinlich berührt. „Das ist nur eine Angewohnheit“, sagte er, „so aufzutauchen. Ich mache nicht viel Lärm.“
    Ich öffnete die Tür. „Kommen Sie doch bitte herein“, forderte ich ihn auf und er kam die Stufen empor, wobei er sich umsah.
    „Ich erinnere mich an dieses Haus“, meinte er dann. „Allerdings war es damals nicht so groß.“
    „Sie erinnern sich an dieses Haus? Das wird meine Großmutter freuen!“ Ich führte Bill ins Wohnzimmer und rief dabei nach meiner Oma.
    Als diese ins Zimmer trat, tat sie das voller Würde, und mir fiel erst jetzt auf, wie viel Mühe sie sich mit ihrem dichten weißen Haar gegeben hatte. Es lag zur Abwechslung einmal glatt und ordentlich in einem komplizierten Zopf um ihren Kopf. Noch dazu hatte Oma sogar Lippenstift aufgelegt.
    Es erwies sich, daß Bill die Regeln gesellschaftlichen Taktierens ebenso gut beherrschte wie meine Großmutter. Die beiden begrüßten einander, bedankten sich für die Einladung beziehungsweise das Kommen, bedachten einander mit Komplimenten, und schließlich saß Bill dann auf der Couch. Meine Großmutter holte drei Gläser Pfirsichtee aus der Küche und nahm dann auf dem Sessel Platz, wodurch sie mir zu verstehen gab, daß ich mich neben Bill setzen sollte. Daran führte ohnehin kein Weg vorbei, außer, ich hätte offen darauf beharrt, nicht neben dem Gast sitzen zu wollen. Also setzte ich mich, allerdings ganz vorn auf die Sofakante, als wollte ich jeden Moment aufspringen und ihm Eistee nachschenken - wo doch sein Teeglas eine rein zeremonielle Sache war.
    Bill berührte höflich den Rand seines Glases mit den Lippen und setzte es dann ab. Oma und ich tranken unseren Tee in großen nervösen Schlucken.
    Dann wählte Oma ein etwas unglückliches Thema, um das Gespräch zu eröffnen. „Ich nehme an, Sie haben von diesem merkwürdigen Wirbelsturm gehört?“
    „Nein“, antwortete Bill mit seidenweicher Stimme. Ich wagte nicht, anzuschauen, sondern saß da und starrte auf meine im Schoß gefalteten Hände.
    Also erzählte ihm Oma von dem widernatürlichen Wirbelsturm und dem Ableben der Ratten. Sie sagte, die Sache erschiene ihr ziemlich schrecklich, aber auch recht eindeutig, und ich meinte sehen zu können, wie Bill sich ein ganz kleines bißchen entspannte.
    „Ich bin gestern auf dem Weg zur Arbeit da vorbeigefahren“, sagte ich, ohne den Blick zu heben. „Beim Wohnwagen.“
    „Sah er so aus, wie Sie es erwartet hatten?“ fragte Bill, und in seiner Stimme lag nichts als Neugierde.
    „Nein“, sagte ich, „so etwas kann man sich gar nicht vorstellen. Ich war wirklich ziemlich ... erstaunt.“
    „Sookie, du hast doch nicht zum ersten Mal Wirbelsturmschäden gesehen!“ meinte meine Oma verwundert.
    Ich wechselte das Thema. „Wo haben Sie ihr Hemd gekauft? Es sieht hübsch aus.“ Er trug khakifarbene Leinenhosen und ein grün-braun gestreiftes Polohemd, blankpolierte Halbschuhe und dünne, braune Socken.
    „Dillard's“, sagte er, und ich versuchte, ihn mir im Einkaufzentrum von Monroe oder einer anderen Stadt vorzustellen, auch, wie die Leute dort sich die Hälse verrenkten, um dieses exotische Wesen mit der hellschimmernden Haut und den wunderschönen Augen genauer betrachten zu können. Woher er wohl das Geld nahm, um seine Einkäufe zu bezahlen? Wo und wie er wohl seine Kleidung wusch? Schlief er nackt? Besaß er ein Auto, oder schwebte er einfach an jeden Ort, zu dem er wollte?
    Oma erschien erfreut über die Normalität von Bills Einkaufsgewohnheiten. Mir versetzte es erneut einen Stich, wie froh sie darüber war, jemanden in ihrem Wohnzimmer sitzen zu sehen, den sie für meinen Verehrer halten durfte. Selbst wenn dieser Jemand - wollte man der einschlägigen Ratgeberliteratur Glauben schenken - einem Virus zum Opfer gefallen und für tot gehalten

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