Vorübergehend tot
sie beschieden, Grau sei nicht ganz so eindeutig wie Schwarz, stelle aber ebenfalls einen hervorragenden Farbkontrast zu Rot dar. Das Innenleben der Bar war in eben diesen Farbtönen gestaltet.
An der Tür wollte eine Vampirdame meinen Ausweis sehen. Natürlich hatte sie Bill als einen der Ihren erkannt und mit kühlem Nicken begrüßt, aber mich nahm sie besonders gründlich unter die Lupe. Sie war kreidebleich wie alle Vampire kaukasischer Abstammung, trug ein langes schwarzes Kleid mit weiten, flatternden Ärmeln und war fast überirdisch schön. Ich fragte mich allerdings, ob sie den Vampirlook trug, weil diese Mode ihr gefiel oder ob sie das Kleid angezogen hatte, weil die menschlichen Besucher der Bar das von ihr erwarteten.
„Mich hat schon jahrelang niemand mehr nach meinem Ausweis gefragt“, sagte ich und kramte in meiner Handtasche nach meinem Führerschein. Wir standen in einem kleinen Vorraum, der von der Bar selbst durch eine Tür abgetrennt war.
„Ich bin einfach nicht mehr in der Lage, das Alter von Menschen richtig einzuschätzen. Wir müssen unglaublich streng darauf achten, daß wir niemanden hereinlassen, der nicht volljährig ist. Volljährig in allen Lebensbereichen!“ erklärte die Dame und strahlte uns mit einem Lächeln an, das wohl von Herzen kommend wirken sollte. Dann musterte sie Bill mit einem interessierten Seitenblick einmal von oben bis unten, ein Verhalten, das ich beleidigend fand. Beleidigend mir gegenüber zumindest.
„Sie habe ich ja schon seit ein paar Monaten nicht mehr gesehen“, sagte sie dann, und ihre Stimme war so kalt und süß, wie auch Bills Stimme klingen konnte.
„Ich lebe recht bürgerlich“, erklärte Bill, und die Dame nickte verständnisvoll.
* * *
„Was hast du zu ihr gesagt?“ flüsterte ich Bill zu, als wir dann den kurzen Flur entlang und durch rote Doppeltüren hindurch in die eigentliche Bar traten.
„Daß ich versuche, unter Menschen zu leben.“
Gern hätte ich noch mehr zu diesem Thema gehört, aber nun bot sich mir mein erster umfassender Blick auf das Innere von Fangtasia.
Der gesamte Raum war ausschließlich in den Farben Schwarz, Rot und Grau dekoriert, und an den Wänden hingen gerahmte Fotografien jedes einzelnen Vampirs, der je auf einer Filmleinwand seine Fangzähne gezeigt hatte. Bela Lugosi hing dort neben George Hamilton und Gary Oldman, berühmte Leinwandvampire neben eher obskuren. Die Beleuchtung war gedämpft; natürlich, darin lag nichts Außergewöhnliches. Außergewöhnlich waren die Besucher und die Warntafeln, die überall hingen.
Es war voll an diesem Abend. Die menschliche Klientel bestand einerseits aus Vampir-Groupies (die man Fangbanger nannte), andererseits aus Touristen. Die Groupies hatten sich allesamt in Schale geworfen. Viele der Männer trugen das traditionelle Cape zum Schwalbenschwanz, die Frauen hatten sich fast ausnahmslos Mühe gegeben, so auszusehen wie Morticia Adams. Dazu kamen Kopien der Sachen, die Brad Pitt und Tom Cruise in lnterview mit einem Vampir getragen hatten, und ein paar eher modern wirkende Verkleidungen, die meiner Meinung nach vom Film Begierde beeinflußt waren. Manch ein Fangbanger hatte sich künstliche Fangzähne aufgesteckt, andere hatten sich Blutstropfen in die Mundwinkel und Bißspuren auf die Hälse gemalt. Alle wirkten ungewöhnlich - und gleichzeitig ungewöhnlich jämmerlich.
Die Touristen sahen aus, wie Touristen nun mal aussehen, vielleicht ein wenig abenteuerlustiger als anderswo. Sie trugen fast alle Schwarz, wie die Fangbanger, um sich der allgemeinen Stimmung in der Bar anzupassen. Vielleicht gab es ja inzwischen Reiseveranstalter, die ihren Reisegruppen einen Besuch in einer Vampirbar anboten. „Für Ihren aufregenden Besuch in einem echten Nachtclub für Vampire packen Sie bitte schwarze Kleidung ein. Wenn Sie sich hier an die Regeln halten, geschieht Ihnen nichts, und Sie können diese exotische Subkultur hautnah miterleben.“
Wie Juwelen in einem Kästchen voller Kiesel saßen zwischen all diesen Menschen mit ihren unterschiedlichen Interessen die Vampire, etwa fünfzehn von ihnen. Auch sie schienen in der Regel dunkle Kleidung zu bevorzugen.
Da stand ich nun mitten im Raum und sah mich um, interessiert, belustigt und auch ein wenig abgestoßen, als Bill mir zuflüsterte: „Wie eine weiße Kerze mitten in einer düsteren Kohlengrube!“
Ich lachte, und wir schlängelten uns zwischen den überall verstreuten Tischen hindurch zum Tresen. Dort prangte
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