Vorübergehend tot
zusammen dort hin?“
„Warum?“ fragte Bill und klang lediglich neugierig.
Wenn jemand sich zumindest des Nachts so absolut sicher, so jenseits aller Gefahren fühlen kann, dann fällt es einem schwer, diesem jemand zu erklären, wie es ist, wenn man meint in Gefahr zu schweben. „Ich bin nicht sicher, daß Andy Bellefleur sich die Mühe macht hinzufahren“, flunkerte ich.
„Dann leben also noch Bellefleurs hier“, sagte Bill, und es lag ein anderer Unterton in seiner Stimme. Seine Arme schlossen sich so dicht um mich, daß es fast schon wehtat.
„Ja“, sagte ich. „Viele. Andy ist bei der Polizei. Seine Schwester Portia ist Anwältin. Sein Vetter Terry ist Vietnamveteran und hilft bei uns aus, wenn Sam Vertretung braucht, und dann gibt es noch eine Reihe anderer.“
„Bellefleur ...“
Ich wurde zermalmt.
„BILL!“ sagte ich mit vor Angst quietschender Stimme.
Sofort lockerte er seine Umarmung. „Entschuldige bitte“, bat er mich ganz formell.
„Ich muß ins Bett“, teilte ich ihm mit. „Ich bin wirklich todmüde, Bill.“
Mit einem leichten Aufprall setzte er mich auf dem Kies der Auffahrt ab und sah auf mich herunter.
„Zu diesen anderen Vampiren hast du gesagt, ich gehörte dir“, sagte ich. „Ja.“
„Was genau sollte das heißen?“
„Das sollte heißen, daß ich sie umbringe, wenn sie versuchen, sich von dir zu nähren“, erklärte Bill. „Es sollte heißen, daß du mein Mensch bist.“
„Ich muß sagen, ich bin froh, daß du den anderen das gesagt hast, aber ich weiß nicht genau, was es bedeutet, dein Mensch zu sein“, erwiderte ich vorsichtig. „Ich kann mich auch nicht daran erinnern, um Erlaubnis gefragt worden zu sein.“
„Was immer es auch heißt, es ist auf jeden Fall besser als eine Party mit Liam, Diane und Malcolm.“
Eine direkte Antwort wollte er mir also nicht geben. „Gehst du mit mir in diese Bar?“
„Wann ist denn dein nächster freier Abend?“ „Übermorgen.“
„Also dann. Bei Sonnenuntergang. Ich fahre.“
„Du hast einen Wagen?“
„Wie sollte ich mich denn deiner Meinung nach sonst fortbewegen?“ Unter Umständen war gerade ein Lächeln über Bills schimmerndes Gesicht gehuscht. Dann wandte er sich um und verschmolz mit dem Wald. Über die Schulter rief er noch: „Sookie? Mach dich hübsch, damit ich stolz auf dich sein kann.“
Ich blieb mit weit offenem Mund stehen.
Mich hübsch machen, damit er stolz auf mich sein konnte? So weit kam's noch!
Kapitel 4
Die Hälfte der Gäste im Merlottes glaubte, Bill sei für die Spuren an den Leichen der beiden Frauen mitverantwortlich. Die andere Hälfte war überzeugt, daß sowohl Dawn als auch Maudette auf ihren nächtlichen Streifzügen durch einschlägige Bars von irgendwelchen großstädtischen Vampiren gebissen worden seien und damit letztlich genau das bekommen hätten, was sie verdienten. Warum hatten sie auch unbedingt mit Vampiren herummachen müssen? Manche Gäste waren sich ganz sicher, daß ein Vampir die Frauen erwürgt hatte; für andere stand fest, daß die beiden sich auf dem schiefen Pfad der Promiskuität befunden hatten, der nun einmal unweigerlich ins Verderben führt.
In einem jedoch waren sich alle Besucher unseres Lokals einig: in ihrer Befürchtung, weitere Frauen könnten getötet werden. Ich kann wirklich nicht mehr genau sagen, wie oft mir geraten wurde, vorsichtig zu sein, meinen Freund Bill Compton genau im Auge zu behalten, nachts meine Tür zu verriegeln und niemanden ins Haus zu lassen - als seien all dies Dinge, die ich normalerweise nicht tun würde.
Jason, der mit beiden Frauen ein 'Verhältnis' gehabt hatte, wurde sowohl bemitleidet als auch verdächtigt. Er kam Oma und mich zu Hause besuchen und regte sich eine gute Stunde lang über dieses Thema auf. Wir redeten ihm gut zu, weiter seiner Arbeit nachzugehen, wie jeder unschuldige Mann es tun würde. Ich erlebte meinen gutaussehenden Bruder zum ersten Mal - zumindest zum ersten Mal seit ich denken konnte - wirklich besorgt. Natürlich freute ich mich nicht, ihn mit diesen Problemen belastet zu sehen, richtig leid tat er mir aber auch nicht. Ich weiß, ich weiß: Das war kleingeistig und engstirnig von mir.
Ich bin nicht perfekt.
Mein Nicht-Perfektsein reichte so weit, daß ich ziemlich viel Zeit mit der Frage verbrachte, was Bill wohl gemeint haben mochte, als er sagte, ich solle mich hübsch machen, und das, obwohl gerade zwei Frauen umgebracht worden waren, die ich beide persönlich
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