Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
stocherte Singender Wolf im Feuer. »Welchen Sinn soll die Folter haben? Für mich ist es eine unerträgliche, widerwärtige Abscheulichkeit. Dabei spielt es gar keine Rolle, wie viele …«
»Ich muß sie das Fürchten lehren, damit sie uns endlich in Ruhe lassen. Darum verstümmle ich ihre Körper und lasse sie verrenkt und verzerrt liegen. Wenn es ihnen beim bloßen Gedanken an uns eiskalt ums Herz wird, gehen sie uns aus dem Weg und verschwinden aus unserem Land.«
»Es muß doch eine andere Möglichkeit geben.«
Rabenjäger zog die Knie an die Brust und fragte: »Welche? Wir müssen diese Menschen töten. Sie müssen weinen und schreien.« Er schlug sich vor die Brust. »Hier. Es zieht mir das Herz zusammen, und meine Seele stöhnt in meinen Träumen. Diese Anderen sind gar nicht so anders als wir. Wir haben viel mit ihnen gemeinsam. Aber sie haben uns vertrieben, sich das Meer und die grasbewachsenen Ebenen im Westen angeeignet. Seit Generationen verfolgen sie uns. Uns ist nichts geblieben. Auch du kennst die Erzählungen von unserem alten Land westlich der Eisigen Berge. Dort gab es Wild im Überfluß. Es waren die Jagdgründe unserer Ahnen.
Und jetzt? Je weiter wir am Großen Fluß entlang nach Süden kommen, um so trockener und kälter wird das Land. Davon konntest du dich mit eigenen Augen überzeugen. Du warst weiter im Süden als die meisten von uns. Aus deinem Mund habe ich gehört, daß das Große Eis den Großen Fluß verengt und ein unüberwindliches Hindernis darstellt. Im Westen erhebt sich das Gebirge. Im Osten wartet nur endloses Eis.«
»Ja, aber …«
Rabenjäger unterbrach ihn. »Was bleibt uns?«
»Aber so viel Leid zu verursachen, ist…«
»Notwendig.« Sein Gesicht sah plötzlich müde und abgespannt aus. »Überleg doch mal. Menschen teilen Freude und Leid mit allen Lebewesen. Wenn du ein Tier tötest, dem Mammut den Speer in die Eingeweide bohrst und es tagelang verfolgst, spürst du seinen Schmerz am eigenen Leib. Das stimmt doch?«
Singender Wolf nickte. »Jeder Jäger fühlt den Schmerz des Tieres, das er tötet.«
»Und genau das ist unsere einzige Waffe im Kampf gegen die Anderen. Begreifst du immer noch nicht? Die Lebenden sollen sich an die Stelle der blutigen Leichen versetzen, die wir zurücklassen. Sie müssen mit ihren Augen sehen. Sie müssen ihren Schmerz empfinden.«
»So, wie wir ihn fühlen?« fragte Singender Wolf nachdenklich.
»Langsam beginnst du zu begreifen. Wenn du ein Kind mit zertrümmertem Schädel siehst, berührt dieser trostlose Anblick deine Seele, weil du dir vorstellst, es könnte dein eigenes Kind sein, nicht wahr? Jetzt versetz dich in die Lage der Anderen. Was mag das erst für sie bedeuten?«
Die schwarzen Augen waren unverwandt auf Singender Wolf gerichtet.
»Deine Seele stöhnt in deinen Träumen?«
Unverändert brannte in Rabenjägers Augen die Flamme der fanatischen Leidenschaft. »Ihr Stöhnen durchdringt meinen Schlaf. Das ist Folter.«
»Ich verstehe gar nichts mehr«, seufzte Singender Wolf. »Warum tust du dir das an?«
Rabenjägers Augen weiteten sich unnatürlich. Im Schein des glimmenden Feuers schienen sie seine Seele zu enthüllen. »Weil ich unser Volk liebe. Ich trage diese Last nicht, weil es mir Spaß macht, ein Ungeheuer zu sein, sondern um mein Volk zu retten. Ich habe nichts Kostbareres zu geben als mich selbst.«
Rabenjägers Augen schienen sich an seinem Gegenüber festzusaugen dies waren nicht die Augen eines Ungeheuers, sondern eines Mannes, den eine furchtbare innere Not peinigte. Offen und ehrlich erstrahlte darin Rabenjägers Seele.
Singender Wolf schüttelte sich, als überfiele ihn plötzlich eine eisige Kälte. Er sah sich im dunklen Lager um. Die in Felldecken gehüllten Körper lagen wie wertlose Bündel im zerdrückten Gras. Sein Feuer ging aus, nur ein paar letzte Funken glühten noch.
Rabenjäger klopfte beruhigend auf Singender Wolfs Schultern. »Der Krieg ist scheußlich. Aber wir müssen kämpfen.« Mit einer eleganten Bewegung erhob er sich, stieg vorsichtig über die Schläfer zu seiner eigenen Decke und kroch darunter.
Gedankenverloren starrte Singender Wolf hinaus in die Dunkelheit.
Drei Tage später stießen sie kurz nach Einbruch der Nacht unerwartet auf ein zwischen Felsausläufern errichtetes Lager der Anderen. Ein halbes Dutzend niedriger Feuer brannten. Lachende und schwatzende Frauen brieten Fische und beaufsichtigten nebenbei die in der Nähe spielenden Kinder.
Die Männer hatten
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