Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
während wir anderen geschlafen haben?«
»Ja, oft.«
»Warum hast du zu niemandem ein Wort gesagt? Vielleicht hätten wir …«
» … sie am nächsten Baum festgebunden? Das hätte sie nur noch böser gemacht. Sie wollte keine von uns werden.«
Brachvogellied sah sie scharf an. »Neue Frauen machen unser Volk stärker. Sie bringen frisches Blut mit.«
»Nur wenn sie sich mit ihrem Schicksal abfinden. Manche tun das nie und zu denen gehörte Mondwasser.«
»Vielleicht doch, wenn sie länger bei uns …«, erwiderte Brachvogellied barsch.
»Wann ist sie geflohen? Ich sah sie nicht weggehen.« Dabei lag ich wie fast jede Nacht die halbe Zeit wach und dachte über meine Zukunft nach, versuchte zu entscheiden, welchen Weg ich einschlagen soll.
»Hüpfender Hase war letzte Nacht draußen. Er wollte nach seinen Kaninchenfallen sehen. Er dachte, er erwischt vielleicht den Wolf, der sie immer wieder plündert. Als ich schlafen ging, war sie noch da.
Beim Aufwachen war sie fort. Ihre Decken hat sie mitgenommen. Auch ihre Rückentrage. Zuerst suchte ich das ganze Lager ab, weil ich dachte, vielleicht hat sie sich zurückgezogen und schmollt irgendwo.«
Tanzende Füchsin erhob sich und massierte ihre steifen Finger. »Jedenfalls wissen wir nun, wohin die Lampe verschwunden ist.«
Mit großen Augen starrte Brachvogellied sie an. »Du glaubst doch nicht etwa, sie …«
»Aber natürlich. Sie ist auf dem Heimweg. Sie braucht die Lampe.«
»Um unter dem Eis durchzugehen? Allein?« Ungläubig schüttelte Brachvogel den Kopf. »Nein. Sie gehört nicht zu den tapferen Frauen.«
Füchsin lachte trocken. »O doch, sie schon. Ich befand mich auch einmal in ihrer Lage. Ich weiß, was es heißt, im Grunde eine Sklavin zu sein. Du weißt, wie sehr sie uns haßt. Ihrer Ansicht nach waren wir unter ihrer Würde. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie das ist, wenn sich einer von den Anderen auf dich legt und dir die Beine auseinanderdrückt.«
»Hüpfender Hase ist kein Anderer! Er ist mein Mann und ihrer auch!«
Füchsin grinste die junge Frau an, die sie aus bösen Augen anstarrte.
»Du liebst ihn. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man den Mann liebt, der einen mit seinem Samen füllt, oder nicht.«
»Sie hätte ihn auch lieben können, wenn sie ihm nur eine Chance gegeben hätte.«
Tanzende Füchsin fröstelte. Dieses Gespräch weckte unangenehme Erinnerungen in ihr. »Das spielt jetzt keine Rolle. Wichtig ist nur, daß wir ganz schön in Schwierigkeiten stecken.« Rasch reinigte sie den Schaber von den Fleischresten des Karibus und schleuderte den rosafarbenen Abfall zwischen die Beerensträucher.
»Was meinst du damit?«
»Sie führt die Anderen durch das Eis.«
»Heiliges Volk der Sterne.« Entsetzt schlug Brachvogellied die Hand vor den Mund. »Wenn sie die Öffnung finden, sind wir nie wieder sicher. Dann folgen sie uns über die ganze Welt.«
»Genau.«
Füchsin verstaute den Schaber, einige zweischneidige Messer und einen Beutel mit Dörrfleisch in ihrer Rückentrage.
Mit finsterem Gesicht beobachtete Brachvogellied diese Vorbereitungen zum Aufbruch. »Was machst du da?«
»Ich gehe ihr nach.«
»Aber du kannst nicht durch das Eis! Allein? Ohne Lampe?«
»Wolfsträumer hat es geschafft. Jetzt versucht es Mondwasser.« Ihre Stimme klang schnippisch.
»Außerdem nehme ich Fichtenholz und Zunder mit, damit ich, falls nötig, ein Feuer anzünden kann. Genaugenommen bin ich schon beim letztenmal im Dunkeln durchgegangen. Ich ging am Ende der Schlange.« Ihre Hände bebten, als sie das Holz zu einem Bündel schnürte.
»Füchsin.« Brachvogellied trat unruhig von einem Bein aufs andere. »Laß das. Du könntest dort unten deine Seele verlieren. Ohne Wolfsträumers Schutz …«
Mit beißender Stimme erwiderte Tanzende Füchsin: »Krähenrufer verfluchte mich zur ewigen Dunkelheit. Vielleicht ist die Zeit gekommen.«
Voller Verlangen schaute sie hinüber zum Großen Eis. Es leuchtete strahlend unter Sonnenvaters streichelnder Berührung. Und Der im Licht… Wolfsträumer… ist auf der anderen Seite. Vielleicht kann ich noch einmal mit ihm reden.
»Krähenrufer war ein Narr«, sagte Brachvogellied, warf aber vorsichtshalber einen Blick über die Schulter, ob auch nicht sein Schatten in ihrer Nähe schwebte. »Fordere das Schicksal nicht heraus!«
Tanzende Füchsin hob die Trage auf den Rücken und befestigte den Stirngurt. Aufmunternd klopfte sie Brachvogellied auf die Schulter. »Paß auf, daß hier
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