Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
die Feuer nicht ausgehen.«
Entschlossen drehte sie sich um und ging langsam, aber mit großen Schritten davon. Ihr Knöchel stach unangenehm.
»Will dem Mammutvolk von unserem Weg durch das Eis erzählen, ha? Das wollen wir mal sehen«, brummte sie.
Sicher würde Wolfsträumer auf Rabenjäger und Krähenrufer treffen. Er stand ganz allein gegen sie.
Seit er aufgebrochen war, machte ihr diese Vorstellung zu schaffen.
Als sie das trockene Flußbett erreichte, entdeckte sie ein von den Schneeverwehungen herabsickerndes Rinnsal. Einen Augenblick hatte sie den Eindruck, als sauge die Öffnung im Eis sie unwiderstehlich in sich auf.
»Das Wasser beginnt zu fließen.« Sie runzelte die Stirn. »Wieviel Zeit mir wohl noch bleibt, bevor der Weg versperrt ist?«
Sie biß die Zähne zusammen und betrat den Eiskanal. Im weichen Sand am Rand des Flußbettes gewahrte sie die Fußabdrücke einer Frau. Kein Zweifel, Mondwasser hatte diesen Weg genommen.
Mit heftig klopfendem Herzen folgte Füchsin den Spuren hinein in das Dunkel.
Die Geister forderten sie kreischend zur Umkehr auf.
Jeder Jahreszeitenwechsel war eine Zeit der Gegensätze. Die Lange Helligkeit drängte mit Sonnenvaters Strahlen die Geister der Langen Finsternis immer weiter nach Norden hinter das nördliche Salzwasser mit seinem Treibeis und den gefährlichen Eisbergen.
Mit der Schneeschmelze verbreiteten sich die Gerüchte. In Pelze gehüllte Jäger trugen Geschichten, die von Mund zu Mund erzählt wurden, in alle Himmelsrichtungen. In jenem Jahr handelten die meisten Berichte von einem Träumer einem sehr mächtigen Träumer. Der im Licht läuft früher nur verhöhnt , hatte in einem Traum den Weg nach Süden gefunden.
Aber nicht nur das, er ging unter der Erde durch! Er und sein Volk wanderten unter dem Großen Eis hindurch und entdeckten eine neue Welt! Ein Land, in dem es keine Anderen gab. Ein Land, in dem die Tiere Brüder waren: ohne jede Angst. Dieser Wolfsträumer, so behaupteten sie, sei ein Abkömmling von Sonnenvater. Sonnenvater persönlich habe ihn geschickt, um dem Volk eine neue Heimat zu geben.
Rabenjäger schaute blinzelnd in die Morgensonne. Er nahm keine Notiz von den Männern, die ihn unruhig umringten und seine Meinung hören wollten. Erwartungsvoll blickten sie ihn an. Im Verlauf des letzten Jahres hatte er sich verändert. Sein hübsches Gesicht wirkte hart. Das ständige Umherziehen und die Überfälle hatten Spuren hinterlassen. Seine Muskeln waren noch kräftiger geworden, die Schultern breiter, sein Bauch, trotz des besseren Essens, noch straffer. Inzwischen bewegte er sich wie ein junger Wolf, kraftvoll, imponierend ein unvergleichlicher Mann, an den kein anderer heranreichte.
Lässig spielte er mit seinen Speerspitzen und dachte an die Überfälle während der Langen Finsternis.
Sie hatten die Anderen nicht vertreiben, sondern sie nur in Schach halten können. Bald stand ihnen die Erneuerungszeremonie bevor. Mit dem Beginn der Jagdsaison mußten sie zunächst die Wildfährten aufspüren, um festzustellen, ob das Wild mit der Schneeschmelze nach Süden in die Weidegründe der Langen Helligkeit zog. In diesem Jahr bevölkerten so viele Andere die Gebiete des regulären Wildwechsels, daß sein Volk möglicherweise gar keine Nahrung erjagen konnte.
Kamen die Büffel heil durch die Reihen der Jäger der Anderen? Die Karibus? Oder mußten sie hoch oben in den Bergen vereinzelte Schafe jagen und beten, genug von den seltenen Mammuts zu erlegen, um das Volk bei guter Gesundheit und bei Kräften zu halten? Wie würde sich das Wild unter dem verstärkten Druck durch die Jäger der Anderen verhalten?
Und die Anderen? Was planten sie? Was, wenn sie nicht nachgaben? Sich im Frühjahr nicht auf die Jagd begaben, sondern ihnen weiter zusetzten? Was sollte das für eine Erneuerung werden, wenn die Bäuche seines Volkes vor Hunger knurrten?
Lächelnd zog er seinen Mantel enger um den Körper. Dieser Mantel, eine Trophäe, die er den Anderen' abgenommen hatte, diente ihm als Symbol seiner überragenden Tapferkeit im Kampf. Er blickte in die Runde, und ihm fiel auf, wie ähnlich seine Krieger dem Feind geworden waren. Sie hatten die Kleider des Feindes gestohlen, aßen die von ihm erbeutete und gesammelte Nahrung, bestiegen seine Frauen. Seltsam berührt strich er mit den Händen über die feinen Nähte auf den Ärmeln seines Mantels.
Zu allem Überfluß hatte der Ältestenrat in diesem Jahr beschlossen, mit einer Tradition zu
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