Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
gehört mir, mir allein!«
»Du glaubst, du kannst diese großartige Frau deinem Willen unterwerfen?«
Rabenjäger nickte. »Oh, das ist mir bereits gelungen. Es gelingt mir auch in der Zukunft. Es schmerzte mich, sie gehenzulassen. Es schmerzte mich mehr als alles andere auf der Welt. Aber sogar damals sah ich es bereits deutlich vor mir. Es war nur eine Prüfung. Sie wurde durch Leiden geformt. Bis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele mußte sie hart werden wie eine Speerspitze über einem herunterbrennenden Feuer. Aber es war die Leiden wert. Jetzt ist sie bereit, mir zu helfen und das Schicksal unseres Volkes mit mir gemeinsam zu beeinflussen,«
»Sie ist nicht für Wolfsträumer bestimmt?«
Rabenjäger ließ ein meckerndes Lachen hören. »Er ist in seinen Träumen gefangen. Ich habe es gehört. Er wies sie zurück. Wies sie zurück! Der Narr begreift nicht einmal, wie wichtig sie für die Zukunft des Volkes ist!«
Eisfeuer nickte. Er ließ seinen gefesselten Sohn nicht aus den Augen.
»Laß mich frei!« forderte Rabenjäger. Sein Herz hämmerte. »Ich nehme dein Weißes Fell. Ich führe das Volk durch das Eis. Du machst einen guten Tausch, Eisfeuer. Deine Leute für mich.«
Eisfeuer wippte auf den Fersen. Ein weicher Schleier lag über seinem harten Blick. »Ich muß dich warnen. Ob es gelingt, liegt allein an dir. Das Fell befindet sich in dem kleinen Zelt in der Mitte des Lagers. Vier junge Männer, einer aus jedem Clan, schlafen bei dem Fell. Bist du geschickt genug?
Kommst du hinein und wieder heraus, ohne die Männer aufzuwecken? Du darfst die Wachen nicht töten. Wenn du das tust, verfolgen dich meine Krieger bis an dein Lebensende. Gleichgültig, wohin du fliehst, sie finden dich. Tötest du die Wachen, zerstörst du die Macht des Weißen Fells.«
Rabenjäger nickte. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten. »Ich bin der beste Jäger meines Volkes. Mir ist nichts unmöglich.«
Eisfeuer lächelte breit. »Noch eine Warnung. Das Fell ist schwer. Ein Mann allein kann es nur mit Schwierigkeiten tragen. Es wird eine schlimme Bürde für dich sein. In meinem Volk trainieren die jungen Männer in der Hoffnung, einmal die große Ehre zu haben, das Fell tragen zu dürfen. Läßt du es fallen, behandelst du es grob und ohne Ehrfurcht. In diesem Fall wird es deine Seele aufsaugen, ganz langsam, nach und nach, bis du unter Qualen zappelst wie ein gestrandeter Wal. Bist du kräftig genug, das Fell zu tragen? Seine Macht vernichtet jeden Mann, der sich dieser Verantwortung nicht würdig erweist.«
Rabenjäger bedachte ihn mit einem geringschätzigen Blick. Was glaubte dieser Eisfeuer, wen er vor sich hatte? »Ich bin bereit, diese Verantwortung zu übernehmen. Ich bin der größte Krieger meines Volkes. Ich fürchte keine Prüfung. Ich werde mich dieses Fells mehr als würdig erweisen.«
Eisfeuer nickte. »Ja, du bist genauso, wie ich befürchtet habe.« Mit einem scharfen Splitter aus Hornstein schnitt er Rabenjägers Fesseln durch.
KAPITEL 58
Tanzende Füchsin stand am Ufer des heißen Teiches und beobachtete das Wasser, das auf die gelbverkrusteten Felsen spritzte und sprudelte. Der graue Himmel verhieß Regen. Ein heftiger Wind trieb die dicken Dampfwolken, die der Geysir ausspuckte, in Richtung auf das Große Eis. Das trostlose Wetter schien ihr ein Spiegel ihrer Gefühle zu sein dumpf, trüb, ohne Freude und Licht, ohne Wärme.
Das Lager machte einen schäbigen, armseligen Eindruck. Ein paar Menschen sammelten Beeren von den Sträuchern zwischen den Felsen. Die Beeren mußten unbedingt getrocknet werden, bevor sie in der feuchten Luft faulten. Trockengestelle für das Fleisch wurden aufgestellt. Eine Hungersnot drohte, denn ein Jäger nach dem anderen war mit fast leeren Händen zurückgekommen. Viel zu wenige Karibus hatten sie erlegt. In den Hügeln lebte nur noch der alte Mammutbulle, der in seiner unfreiwilligen Einsamkeit laut protestierend über die windgepeitschten Felsen trompetete. Moschusochsen gab es längst nicht mehr.
»Entweder das Eis oder das Nichts«, sprach sie laut vor sich hin. Das Knurren ihres leeren Magens ärgerte sie. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, hatte sie ihre Mahlzeiten auf ein absolutes Minimum beschränkt. Die Leute beobachteten sie aufmerksam.
Ein bitteres Gefühl beschlich sie, als sie zu Reihers Höhle hinübersah. Dort trat gerade Der der schreit heraus und winkte ihr zu. Langsam kam er den gewundenen Pfad herunter.
»Er will dich sehen.«
Tanzende Füchsin
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