Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
lauschte aufmerksam. Sie kamen näher, er hörte die leisen Schritte der Krieger. Verrückt vor Angst, ohne Fluchtmöglichkeit, schlüpfte er in ein Dickicht junger Tannen und grub sich in die dicke Matte der Nadeln. Verborgen hinter einem Netz aus grünen Ästen, wartete er. Ein paar Nadeln fielen ihm ins Ohr und kitzelten ihn. Linke Hand bemühte sich verzweifelt, seinen Geist zu befreien, eins zu werden mit dem Waldboden. Wenn sie ihn in seinem Versteck aufstöberten, konnte er sich nicht einmal mehr verteidigen. Er hatte seinen letzten Speer längst geworfen und mit Befriedigung gesehen, wie er sich einem feindlichen Krieger in die Seite bohrte. Hoffentlich war er tief genug eingedrungen und durchlöcherte die Gedärme.
Wenn sich seine Innereien mit Verwesung füllen, wird wenigstens einer der Feinde jämmerlich sterben. Hätte ich doch alle umbringen können ihnen das zurückzahlen können, was sie uns heute angetan haben.
Linke Hand hörte Kleider an den Tannenzweigen entlangstreifen. Er zitterte vor Angst. Jetzt hörte er auch ihre Stimmen. Die Krieger sprachen in der heiseren, kehligen Zunge des Sonnenvolkes.
Verhindere, daß sie mich finden. Wolf? Laß es nicht geschehen.
Einer der Feinde lachte leise und schlug mit der Hand klatschend an seine Speere. Sie befanden sich jetzt direkt neben ihm. Linke Hand, der unter seinem dicken Nadelbett lag, hätte nur die Hand auszustrecken brauchen, um den Mokassin des einen Kriegers zu berühren.
Aus der Ferne drang ein Schrei des Entsetzens durch den stillen Wald.
Die Krieger dämpften ihre Stimmen und flüsterten miteinander. Plötzlich wandten sie sich um, das Geräusch ihrer Schritte entfernte sich.
Linke Hand atmete tief aus.
Bleib liegen. Rühr dich nicht. Warte bis zur Dunkelheit. Sie mögen wissen, wie man im Wald Fährten sucht, aber sie kennen längst nicht alle Pfade.
Er bewegte die trockene Zunge. Der üble Geschmack in seinem Mund verursachte Brechreiz, und er versuchte zu schlucken. Wie konnte das nur geschehen? Das Volk war zur Großen Lobpreisung zusammengekommen. Heute hätte der Tanz beginnen sollen, mit dem das Volk dem Wolf dafür danken wollte, daß er es gut durch den schrecklichen Winter gebracht hatte.
Er war erst aufgestanden und wollte gerade den Pfad zur Schwitzhütte hinuntergehen, als die unheimlichen Schreie die morgendliche Stille brachen. Wie aus dem Boden gewachsen waren die Krieger aufgetaucht, rannten zwischen den Zelten umher, warfen Speere und schwangen Kriegskeulen.
Linke Hand war sofort wieder in sein Zelt geeilt und hatte seine Waffen an sich genommen. Der Berdache Leuchtender Morgen, sein Geliebter, war schlaftrunken aus den Decken hochgeschreckt. In diesem Augenblick wurde das Zelt über ihren Köpfen eingerissen.
Linke Hand kämpfte sich durch das Gewühl herabfallender Häute und konnte dem überraschten Sonnenkrieger einen Speer in die Brust treiben.
»Lauf!« hatte Linke Hand Leuchtender Morgen zugerufen, bevor er sich zwischen die Kämpfenden stürzte. Auf den ersten Blick wußte er, es war völlig aussichtslos, sie hatten bereits verloren.
Er war hinter Leuchtender Morgen zum Wald hinübergeflohen und hatte immer wieder seine Speere geworfen, um die Verfolger auf Abstand zu halten.
In seinem Versteck aus Tannennadeln schloß Linke Hand die Augen. Bis zu dem Tag, an dem seine Seele zum Großen Sternennetz aufstieg, würde er die entsetzlichen Schreie seines Volkes hören, das wie eine Herde verängstigter Dickhornschafe niedergemetzelt wurde. Er hatte beobachtet, wie Hübsche Kehle aufgespießt wurde, wie Großes Wasser, seine Mutter, stolperte und stürzte eine durch die Luft sausende Kriegskeule schlug ihr den Schädel ein.
Und Leuchtender Morgen? Hatte der Berdache überlebt?
Aus allen Richtungen waren mehr und mehr Sonnenkrieger herbeigeströmt. So zahlreich wie Bäume im Wald. Linke Hands Eingeweide verkrampften sich.
Was war mit dem Wolfsbündel geschehen? Hatte jemand noch im letzten Augenblick daran gedacht, das Bündel in Sicherheit zu bringen?
Ich muß zurück und es herausfinden!
Tapferer Mann rückte sich auf den Fellen, die er vor dem Zelt des Schamanen hatte aufstapeln lassen, gemütlicher zurecht. Im Dämmerlicht hörte er die Krieger der Gebrochenen Steine die Zelte durchwühlen und die von den fliehenden Angehörigen des Wolfsvolkes zurückgelassenen Sachen lautstark taxieren.
Grüppchenweise kehrten Frauen, Kinder und Alte vom Holzsammeln zurück. Den ganzen Tag über hatten sie für
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