Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
drängt weiter vor wie hungrige Kojoten. Es ist besser, die Führung zu übernehmen, anstatt sich von der Meute in Stücke reißen zu lassen.« Er zeigte auf das zerstörte Lager. »Wie sie dort unten. Geh hinunter. Die Knochen werden zu dir sprechen.«
»Nicht auf dieselbe Weise wie zu dir.«
Er nickte. »Du behauptest, ich kümmere mich nicht viel um andere Menschen, aber da irrst du dich.«
Seine Stimme wurde dumpf. »Ich denke ständig über andere Menschen nach. Ich denke über die nach, deren bleiche Knochen dort unten liegen. Alle sind tot, meine ganze Familie wie auch die deine. Du hast einen Großvater. Ich habe einen Onkel ja, er ist noch immer mein Onkel. Daran ändert meine Aufnahme in den Schwarzspitzen-Stamm gar nichts. Zwischen ihm und mir besteht eine tiefere Bindung als nur die Stammes-Verwandtschaft.«
Sie beobachtete ihn unablässig aus großen, dunklen Augen, während er weitersprach: »Und dann sah ich die Angehörigen des Hohlkehlen-Stammes, sah den gequälten Blick in ihren Augen diesen Blick, den ich so gut kannte.«
Nachdenklich starrte Espe auf die geschützte Senke unterhalb des Grats. »Ich wußte nicht, was dich wirklich zu uns geführt hat, aber du bist ein großes Risiko eingegangen. Woher nahmst du die Überzeugungskraft deiner Rede vor dem Rat? Warst du ernsthaft besorgt um den Schwarzspitzen-Stamm? Oder wolltest du dich selbst zerstören, indem du uns in die Katastrophe führst?« Ihre dunklen Augen bohrten sich in die seinen. »Vielleicht warst du bereit, alles dafür zu tun, um dich für den Überfall des Schwarzspitzen-Stammes auf das Weißlehm-Lager damals am Fat Beaver River zu rächen. Die Beweggründe für die Handlungsweise eines Menschen sind oft vielschichtig.«
»Alles hat sich verändert. Ich weiß nicht mehr genau, wann es begann. Vielleicht am Tag des Überfalls am Fat Beaver River. Oder am Tag meines Abschieds von Weiße Esche. Die Stämme aus dem Norden oder der Große Donner oder die Sonne mögen die Ursache all dieser Veränderungen sein. Ich weiß nur eines genau, die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten. Das grüne Feuer am Himmel war ein Zeichen. Nichts wird mehr so sein wie früher.«
»Da gebe ich dir recht. Du sagtest, wenn wir dieses Gebirge überqueren, müssen wir eine neue Lebensweise annehmen. Was bedeutet das für den Stamm? Was wird aus uns werden?«
»Was immer wir aus uns machen.« Er schloß die Augen und durchforschte seine Seele auf der Suche nach Weiße Esche. Die Erinnerung an sie hatte ihm die Kraft gegeben, mit soviel Überzeugung vor dem Rat zu sprechen. Und nun? Er suchte in seiner Seele nach ihr und fand nichts.
Espe machte eine Kopfbewegung hin zum zerstörten Lager des Weißlehm-Stammes. »Ich höre deine Geister, Windläufer.« Sie erhob sich und stellte sich vor ihn hin. »Und ich glaube, viele Fragen, die ich an dich hatte, sind beantwortet worden. Ich folge dir. Du wirst ein großer Anführer sein.«
Er winkte ab. »Ich will gar kein großer Anführer sein. Ich will nur nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen.«
Sie legte ihm sacht die Hand auf seine Schulter. »Eben darum wirst du ein großer Anführer.«
Eine Weile sah er ihr in die Augen. Nach kurzem Zögern sagte er: »Es wird nicht leicht sein. Ich weiß nicht, was uns hinter den Sideways Mountains erwartet. Vielleicht besitzen die Stämme des Erdvolkes eine größere Macht, als wir uns vorstellen können.«
»Viele von uns machen sich deswegen große Sorgen sie vertrauen auch dir nicht vorbehaltlos.« Sie blickte über die Schulter auf das stille Tal. »Ein paar Leute sind zu mir gekommen und wollten wissen, was ich von dir halte. Jetzt weiß ich, was ich ihnen antworten muß.«
»Hast du mich deshalb ständig beobachtet?«
»Zum Teil. Ich hatte allerdings auch einen sehr eigennützigen Grund. Die Krieger sind weniger aufdringlich, wenn sie denken, ich hätte nur noch Augen für dich. Ich habe noch nicht den richtigen Mann gefunden. Mein Mann… ich liebte ihn so sehr, daß mir das Herz weh tat.«
»Du sprichst nie seinen Namen aus.«
»Das werde ich auch nicht tun. Das ist eine Angelegenheit meiner Seele.«
Er umklammerte seine Knie. »Von den Händlern habe ich gehört, daß es bei manchen Völkern als etwas Furchtbares gilt, die Namen der Toten auszusprechen. Sie glauben, das bringe Pech und die Geister würden sie heimsuchen. Manchmal geben sie den Namen eines Toten einem Kleinkind. Sie sagen, die Seele des Toten sei mit diesem neuen Leben
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