Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
die Spirale verändern. Nur du und Stilles Wasser können seinen Traum zerstören. Die Wahl liegt bei euch.« Singende Steines Blick erfüllte sie mit der Süße sonnenbeschienenen Honigs.
»Wir sind zurückgekommen, Singende Steine. Stilles Wasser und ich sind hier. Sag mir, was wir tun müssen.« »Lernen… bevor es zu spät ist.« »Zu spät?«
Der alte Mann hob den Kopf und starrte hinaus auf die Ebene. »Gestern nacht träumte ich. Ich sah das Sonnenvolk im Wind Basin. Ich sah einen lahmen Geistermann über dem Körper eines jungen Kriegers stehen. Der junge Krieger war ein gutaussehender Mann, auf dessen Stirn blaue Linien tätowiert waren. Der Geistermann hob ein blutiges Messer der Sonne entgegen und ein neuer Weg war geboren.«
Tapferer Mann … und Windläufer! Ihre Seele erstarrte.
Rittersporn blieb heftig nach Luft schnappend mitten auf dem Pfad zur Gray Wall hinauf stehen. Zu beiden Seiten fiel der Bergkamm in steilen, gelegentlich mit Beifuß und Salbei gesprenkelten Hängen zu den Trockenrinnen ab. Pudriger Staub wirbelte von der grauweißen Erde auf und legte sich auf die Mokassins. Hier und da ragten braune Sandsteinfelsen aus den Hängen, einzelne Wacholder und Kiefern krallten sich mit ihren zähen Wurzeln in den steinigen Boden.
Angst preßte ihr Herz zusammen. Wir sind gezeichnet selbst hier im hellen Sonnenlicht sind wir gefährdet. Bei diesem Gedanken erbebte ihre Seele. Wir sind unrein. Bei den Geistern des Landes und der Sonne im Himmel, wir leiden unter dieser Verdorbenheit. Warum… oh, warum mußte Schwarze Hand dieses Schicksal widerfahren? Warum dem Rundfelsen-Stamm? Sie blinzelte, um die Tränen der Verzweiflung über die grausame Niederlage zurückzuhalten.
Ihre Beine zitterten. Sie stützte sich schwer auf Schilfrohrs Arm und blickte zurück auf das Wind Basin. Das von Bäumen beschattete Schwemmland entlang des Spirit River lag hinter den aufragenden Bergrücken aus graublauen Tonschichten verborgen.
Gut, daß ich es nicht mehr sehen muß. Wenn wir doch nur fliehen könnten weit weg von diesem furchtbaren Ort. Sie schluckte schwer. Wie floh ein Mensch vor der Besudelung seiner Seele?
Nachdem Schwarze Hands Leiche entdeckt worden war, hatten die Leute einander voller Entsetzen angestarrt. Sie scharten die Kinder um sich und kauerten sich an die Feuer. Viele umklammerten Fetische, um sich vor dem Bösen zu schützen. Noch bevor das erste Morgenlicht in das Tal sickerte, waren die Lager abgebrochen worden. Die Stämme zogen davon, das Lager schmolz dahin wie Schnee in der Frühlingssonne. Ein Mörder, ein furchtbarer Mörder hatte einen Angehörigen des Volkes umgebracht.
Rittersporn sah ihre Leute an, die schweigend auf dem Pfad warteten, um ihr etwas Erholung zu gönnen. Angst schwebte über ihnen wie Rauch am Spätnachmittag. Rosenbusch starrte hohläugig ins Leere, ihr Gesicht war aschfahl. Nur Knolles Lebensgeister waren wieder erwacht. Der Junge sah aus wie neugeboren.
»Das wird ein schlimmes Jahr«, hatte Knochenklang prophezeit, als sie Schwarze Hands Körper in eine rasch ausgehobene Grube legten. Nur der Schlechtwasser- und der Warmwind-Stamm waren noch dageblieben und halfen beim Begräbnis. Doch auch diese beiden Stämme beeilten sich, von diesem Ort fortzukommen, an dem Schwarze Hands zorniger Geist fortan herumstreifen würde.
Kein Verbrechen war mit Mord zu vergleichen nicht einmal Hexerei. Der Geist des gewaltsam Getöteten wanderte auf der Suche nach dem Mörder in der Nacht umher und richtete seine Wut gegen jeden, der sich in seine Nähe begab. Falls Eulenklees Hexer tatsächlich existierte, suchte er mit Sicherheit die Stelle auf, an der der Mord an Schwarze Hand geschah, und verbündete sich mit seinem zornigen Geist. Unschuldige würden für diese Tat bezahlen müssen.
Rittersporn betrachtete den langen, noch vor ihr liegenden Aufstieg. Der Gipfel schien unendlich weit außerhalb jeder Reichweite wie die Hoffnung für das Volk.
Sie weigerte sich, das Schweigen zu brechen, den einzigen Mann zu betrauern, den sie je geliebt hatte.
In ihren Erinnerungen würde er unverändert weiterleben: ein leidenschaftlicher junger Liebhaber, der seinen Körper und seine Seele mit ihr geteilt hatte.
Entschlossen setzte Rittersporn einen Fuß vor den anderen und trieb ihren alten Körper unerbittlich den langen steilen Hang hinauf.
Ich habe meine letzte Große Versammlung erlebt und meine Seele schaudert. Qual peinigte ihr Herz.
Was bricht als nächstes über das
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