Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
Ich muß träumen. Sonst ist alles verloren.«
Seine Seele schrie gellend auf. Zutiefst verzweifelt murmelte er: »Sie ist meine Cousine.« Dann drängte er sich rücksichtslos durch die Menge, ohne auf die erstaunten Blicke der Menschen zu achten.
In stummem Schmerz marschierte er aus dem Lager.
Stilles Wasser, der die Qual in Windläufers Gesicht bemerkte, wußte, welche Entscheidung gefallen war. Doch anstatt die erwartete Erleichterung zu empfinden, spürte er das Leid dieses Mannes wie am eigenen Leib.
Weiße Esche redete weiter in der Sprache des Sonnenvolkes, so daß Stilles Wasser nicht verstehen konnte, was geredet wurde. Er sah nur die wachsende Angst in den Gesichtern der Umstehenden. Wer war dieser stämmige Krieger mit den fünf auf die Stirn tätowierten Kreisen? Weiße Esche hatte ihn vertraulich umarmt.
»Findest du auch, wir sollten schleunigst Reißaus nehmen?« fragte er Plage. Der Hund beobachtete die ihn umkreisenden Lagerhunde mit wachsamem Interesse und gesträubtem Fell. Ein langes Knurren dröhnte in seiner Kehle. »Du sagst es.«
Nach und nach begannen sich die Leute zu zerstreuen und kehrten ins Lager zurück. Stilles Wasser hielt sich dicht neben Weiße Esche und fragte unsicher: »Was ist jetzt?« Aber Weiße Esche war in ein Gespräch mit dem großen Mann vertieft, der der Anführer zu sein schien.
»Ratsversammlung«, antwortete an ihrer Stelle der muskulöse Krieger mit den auf die Stirn tätowierten Kreisen. Der Mann musterte Stilles Wasser von oben bis unten und setzte hinzu: »Weiße Esche sagt, du seist ihr Mann}«
Stilles Wasser beschlich ein seltsames Gefühl in der Magengrube, als er in die harten Augen blickte.
Wer war dieser kräftige Krieger? Mit seinen breiten Schultern sah er aus, als könne er einen Berg hochheben.
Allmählich ging ihm die Bedeutung der Worte des Mannes auf: Weiße Esche hatte ihn als ihren Ehemann bezeichnet! Stolz reckte Stilles Wasser den Hals. Seltsamerweise war ihm dieser Gedanke noch nie in den Sinn gekommen. Es freute ihn, plötzlich sagen zu dürfen: »Sie ist meine Frau.«
Der stämmige Krieger sah ihn voller Widerwillen an, als sei er eine grünlich verschimmelte Büffelhälfte, und fragte ihn mit deutlich hörbarem Akzent: »Was sieht sie nur in einem so häßlichen Mann wie dir? Du hast nur einen Arm.«
Stilles Wasser straffte den Rücken. Was ging das diesen Kerl eigentlich an? »Ich bin der Hüter des Wolfsbündels. Und ich bin der Beschützer der Träumerin.« Wie unter einer Eingebung fügte Stilles Wasser noch hinzu: »Falls du weitere Fragen hast, schlage ich vor, du stellst sie der Macht.«
Die harten Augen des Kriegers verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich stelle keiner Macht Fragen.« Er drehte sich um und folgte den anderen zu einem großen Zelt, dessen Wände aufgerollt waren, um den Wind durchzulassen. Etwas wehmütig blickte Stilles Wasser auf die Erdhütten des Dornbusch-Lagers, sie sahen verwaist und unbewohnt aus.
Langsam trottete er dem Krieger hinterher. Neugierig fragte er: »Wo hast du die Sprache des Volkes sprechen gelernt? Du sprichst sie sehr gut.«
Der muskulöse Mann lachte rauh auf, ein Laut, der sich alles andere als beruhigend anhörte. »Du wunderst dich, warum ein Mann fragt, was Weiße Esche in dir sieht? Das ist mein gutes Recht, Erdmann. Die Sprache des Erdvolkes erlernte ich von ihr. Sie ist meine Tochter.«
Stilles Wasser blieb stehen und starrte ihn entgeistert an. »Du bist Salbeigeist?«
Der Krieger verschränkte die Arme mit den beeindruckenden Muskeln vor der Brust. Mit funkelnden Augen betrachtete er Stilles Wasser. »Ich bin Salbeigeist.«
»Sobald wir Zeit haben, möchte ich gerne mit dir reden. Weiße Esche hat mir wunderbare Dinge von dir und Leuchtender Mond erzählt.«
Salbeigeists Feindseligkeit schien etwas nachzulassen. Er senkte die Augen und sagte versöhnlicher:
»Später vielleicht, am Feuer.«
»Stilles Wasser?« rief Weiße Esche. »Komm, setz dich zu mir.«
Ehrerbietig nickte er Salbeigeist zu und eilte zu ihr.
Der gesamte Stamm hatte sich draußen vor dem Zelt versammelt und drängte sich um die Zeltstangen, damit ja niemandem ein Wort entging. Manche hielten Lederstücke über ihren Kopf, um sich vor der heiß brennenden Sonne zu schützen.
Weiße Esche blickte sich im Zelt um. Auf der Südseite lagen Schlafdecken, daneben eine Reihe Kochsäcke und Steinwerkzeuge. Unter den aufgerollten, tiefbraun geräucherten Häuten der Zeltwände hindurch sah sie die
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