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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Hand und tat, worum Wanderer sie gebeten hatte. Mit einem Stecken holte sie das Tuch aus dem brodelnden Sud und ließ es in eine Schüssel fallen. Kessel schaffte indessen einen Hornsteinbohrer mit Griff und eine Vielzahl von Obsidianmessern und Klingen herbei und legte sie neben Flechte auf eine Decke.
    »Vielen Dank.« Wanderer lächelte die verängstigte Priesterin erschöpft an. »Du hast mir sehr geholfen, Kessel. Warum setzt du dich nicht hin und ruhst dich ein wenig aus?«
    »Nein, wir - wir wollen für sie singen, Wanderer … wenn wir dürfen.«
    »Das wäre sehr schön von euch, Kessel, vielen Dank.«
    Die beiden Priesterinnen stimmten ein Gesundbetungslied an. Sie machten Musik mit Rasseln und Klappern und tanzten um den Mittelaltar. Wühlmaus schienen die beiden ein merkwürdiges Gespann: die pummelige Kessel mit dem unscheinbaren Gesicht neben Drossellied, die so mager war wie ein Wieselschwanz.
    Kopfschüttelnd stellte Wühlmaus die Schüssel mit dem nassen Lappen neben Wanderer ab und hielt wieder die Hand ihre Tochter.
    Wanderer erhob seine zittrige Altmännerstimme zu einem monotonen Singsang und tauchte die Werkzeuge in den heiligen Biberwurzelsud.
    Als er aufhörte zu singen, warf ihm Wühlmaus einen prüfenden Blick zu. Angst stand in seinen Augen. Er sah plötzlich uralt aus. Das graue Haar klebte in dünnen, verschwitzten Strähnen an seinem Kopf.
    Wühlmaus schenkte ihm ein tapferes Lächeln und drückte ermutigend seine Hand. Die Berührung seiner langen knochigen Finger hatte eine eigentümlich tröstliche Wirkung auf sie. Er erwiderte den Druck ihrer Hand, und sie sagte: »Ich vertraue dir, Wanderer. Sag mir, was ich machen muß.«
    »Im Augenblick nichts. Bevor ich bohren kann, muß ich ihr die Haare abschneiden und die Kopfhaut zurückziehen.«
    Ruhig und aufmerksam saß Wühlmaus daneben und beobachtete, wie er mit einer Obsidianklinge eine handtellergroße Stelle auf Flechtes Kopf ausrasierte. Die abgeschnittenen Haarsträhnen legte er liebevoll auf ein rotes Stück Tuch. Dann nahm er das mit Biberwurzelsud getränkte, dampfende Tuch und benetzte die kahlrasierte Stelle. Die herabrinnende bräunlichgrüne Flüssigkeit näßte Flechtes Haare und tropfte auf die unter ihr liegende Decke.
    Wanderer atmete tief durch; mit starrem Blick und sorgenvoll hochgezogenen Augenbrauen konzentrierte er sich auf Flechtes Gesicht. Dann nahm er ein Steinmesser und berührte damit Flechtes helle Kopfhaut. Wühlmaus wandte sich ab, sie konnte nicht mehr hinsehen.
    »Wühlmaus«, hörte sie kurz darauf Wanderer sagen. »Gib mir bitte ein trockenes Tuch.«
    Sie beugte sich zur Seite, zog ein Tuch aus dem Stapel zu ihrer Linken und reichte es ihm.
    Wanderer saugte damit das Blut auf, das in einem üppigen roten Strom aus der durch das Abschälen und Zurückziehen der Haut entstandenen Wunde floß. »Skalpwunden bluten immer so stark.«
    Der zurückgezogene, wie ein zusammengefaltetes Hirschhautstück aussehende Hautlappen enthüllte den pulsierenden, durchbluteten Schädel.
    O Flechte… Wühlmaus schluckte hart. Ihr war übel, sie fühlte sich schwach und benommen.
    Wanderer spürte ihre aufsteigende Panik und blickte freundlich zu ihr auf. »Wühlmaus, ich weiß, wie schwer es ist. Möchtest du lieber gehen? Kessel kann -«
    »Nein.« Den Gedanken, Flechte einer Fremden anzuvertrauen, konnte sie nicht ertragen. »Nein, mir - mir geht's gut. Was machen wir als nächstes?«
    »Ich muß das Loch zuerst mit dem Bohrer markieren, um die genaue Größe festzulegen.«
    Wanderer fischte den Hornsteinbohrer aus dem Biberwurzelsud, holte tief Luft und setzte das Werkzeug an Flechtes Schädel an.
    Lautlos rannen die Tränen aus Wühlmaus' Augen. Sie sah zu, wie er den Bohrer zwischen den Handflächen drehte und mit sechs Punkten einen kleinen Kreis markierte. Sechs. Eine heilige Zahl.
    »Jetzt kommt das Schlimmste, Wühlmaus«, teilte er ihr leise mit. »Das Schädelinnere ist von kräftigem Gewebe und Knochen umgeben. Einen Teil des Knochenrings muß ich entfernen. Dabei darf kein Knochen brechen. Und im Schädel eines Kindes sitzt der Knochenring sehr viel fester als in dem eines Erwachsenen.«
    »Wie gehst du dabei vor?«
    »Ich muß jedes dieser markierten Löcher genau bis zur richtigen Tiefe ausbohren, dann die verbleibende Knochenverbindung zwischen allen Löchern durchsägen, bis ich das betreffende Stück leicht und problemlos herausnehmen kann. Dann werde ich das Gewebe vom Innern des Schädels abtrennen und

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