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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Feuers schien das Kondorweibchen ihn zu beobachten.
    Den blutigen Kopf hatte es, leicht zur Seite gedreht, sorgfältig hingelegt.
    Zu Tode erschöpft sagte Sonnenjäger: »Dein Körper wird den Mammuts helfen zu leben, Großmutter.«
    Als er das Kondorweibchen mit halbgeschlossenen Augen beobachtete, regte es sich plötzlich. Ein Brennen rann durch die Wunden, die es ihm an Kopf und Armen beigebracht hatte. Er blinzelte. Die tanzenden Flammen oder die vom Wind angefachte aufflackernde Glut mußten ihm einen Streich gespielt haben. Im Dunkeln fohlte er eine unbestimmte Macht.
    Verzweifelt kämpfte er gegen den Schlaf an, doch er trieb in den Geräuschen von Wind, Feuer und Nacht dahin und schwebte in dieser halbwirklichen …
    Ein Atemzug dehnte die Lungen des Kondorweibchens. Es hob den Kopf und starrte Sonnenjäger an.
    Ein blaßsilbernes Licht glänzte in ihren Augen.
    Ich verstehe jetzt, daß du meinen Körper brauchst, Mensch. Du hast mich ehrenvoll gejagt. Ich werde dich auf eine Reise mitnehmen. Eine Geist-Reise weit weg von hier. Du sollst sehen, warum ihr Tag und Nacht beten müßt, um die Mammuts am Leben zu erhalten.
    Großmutter Kondor schüttelte die schwachen Bänder ab, die er um sie geschlungen hatte, und sprang von ihrem Liegeplatz auf. Sie flog so niedrig über dem Boden, daß die Spitzen ihrer heftig schlagenden Schwingen den Schnee streiften, doch bald gewann sie genug Höhe, um sich in den Himmel emporzuheben. Dort kreiste sie eine Weile, doch dann schwang sie sich mit ausgestreckten Krallen über die zerklüfteten Felsen und die im Wind schwankenden Bäume zurück.
    Unfähig zu fliehen, schrie Sonnenjäger auf. Sie bohrte die gebogenen, blutigen Krallen in das Schulterstück seines Lederhemds und trug ihn durch leuchtende Wolkenschichten empor. Bei jedem Flügelschlag rollte grollender Donner über die Berge.
    Höllische Angst durchzuckte ihn und ließ sein Herz heftig schlagen. Sie mußte nur ihren Griff lockern, und er würde fallen und fallen …
    Schau nach unten, Sonnenjäger. Was siehst du?
    Entsetzen erstickte den Schrei in seiner Kehle. Die Berge wichen hinter grüne, hügelige Prärien zurück, wo riesige Kadaverhaufen in der Sonne faulten. Weiße, von Fleischfressern gesäuberte Knochen leuchteten auf. Nicht nur Mammuts lagen dort, sondern auch Gabelböcke, verschiedene Pferdearten, Riesenfaultiere, Riesenwölfe, Riesenbiber, Waldbisons, Säbelzahntiger, Riesenkurzschnauzenbären, Löwen … so viele wunderschöne Löwen. Sie lagen Pfote an Pfote in einem Feld mit hohem, im Wind wogendem Gras, und ihre Mähnen glänzten in der Sonne.
    Entsetzen zog Sonnenjägers Brust zusammen. »Ich verstehe nicht, Großmutter. Was ist das? Was sehe ich da?«
    »Du siehst, wie die Welt ohne Mammuts sein wird, Sonnenjäger.«
    »Voll Tod und Sterben. Warum?«
    Der Kondor änderte die Flügelstellung, und sie segelten nordwärts, zum Land des Großen Weißen Giganten, wo die Eisgeister kreischten und stöhnten, während sie ihre gefrorenen Körper streckten.
    Riesige Wüsten flogen unter ihm vorbei. Rote, von tief erodierten, glattgeschliffenen Canyons durchschnittene Hügelketten schlängelten sich durch das Land. Riesige Steintürme ragten wie Lanzen nach oben, als streckten sie ihre Köpfe über die Bergkämme, um sich umzusehen.
    »Weil alles mit allem verbunden ist, Sonnenjäger.«
    Er hörte wieder, wie das Baby schrie, schrie und schrie und seinen Namen rief…
    Gute Feder erwachte von Sonnenjägers Schluchzen. Sie setzte sich in ihren Felldecken auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Der Wind brüllte mit der Kraft der Donnerwesen und schlug heftig gegen das Zelt. Der Türvorhang hatte sich gelöst und flatterte wie ein Flügel über Sonnenjägers Kopf.
    Auf seinem Haar lag eine dicke Schicht unberührten weißen Schnees. Er warf und drehte sich hin und her, als versuchte er, im Traum einem Ungeheuer zu entkommen. Die Felldecken waren ihm bis zu den Hüften gerutscht, so daß seine nackte Brust dem bitterkalten Wind ausgesetzt war.
    Gute Feder stand auf und schlich auf Zehenspitzen zu ihm hinüber. Tränen säumten seine Wimpern.
    Als sie ihm eine Hand auf die Stirn legte, seufzte sie erleichtert. Er hatte kein Fieber mehr, aber er fohlte sich kalt an.
    »Du wirst wieder gesund, Sonnenjäger«, flüsterte sie liebevoll, als sie die Felle in Ordnung brachte und ihn wieder zudeckte. »Alter-Mann-Oben muß all die Gebete erhört haben, die deine große Schar von Anhängern zu ihm gesandt hat…

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