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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Menschen für möglich gehalten hätte.
    Helfer kam zu ihm getrottet und legte sich an seinen Rücken, als wollte er ihn gegen den Nebel schützen, der sich in dem Canyoneinschnitt sammelte.
    »Ich … ich hatte keine andere Wahl, Helfer. Das weißt du doch, oder? Ich mußte diese Kuh töten. Ich wollte es nicht. Aber die Schreie dieses kleinen Mädchens … und der Junge …« Helfer winselte.
    Sonnenjäger vergrub das Gesicht in dem zottigen Fell der Kuh. Heuschrecken strichen sich im Gras die Beine. Ihr Zirpen vermischte sich eigenartig mit dem Schlaflied des Wasserfalls.
    Sonnenjäger schloß die Augen. Doch er konnte nicht schlafen. Er warf sich hin und her, durchlebte den Kampf im Dorf noch einmal, sah wieder den Blick in den Augen der Kuh. Seine Seele trieb hin und her. Wie ein altes, vom ersten Winterwind berührtes Blatt, sehnte er sich danach, sich von seinem Körper zu lösen und mit der Kuh ins Land der Toten zu fliegen …
    Irgendwann in der Nacht bewegte sich etwas im Gras. Sonnenjäger rappelte sich keuchend auf und sah, wie die Kuh ihn anblickte. »Du … du lebst? Ich habe dich nicht getötet?«
    Die Gestalt der Kuh verschmolz mit der Dunkelheit. Doch als sie den riesigen Kopf hob, fiel der Schein des Vollmonds darauf, und er konnte ihr Gesicht erkennen. Ein silbriger Schimmer überzog jede Falte ihrer alten Haut und spiegelte sich in der dunklen Tiefe ihrer Augen wider. Sie rollte den Rüssel auf und legte ihn zwischen die Vorderbeine.
    »Doch, Mensch. Ich bin ins Otter-Klan-Dorf gekommen, um zu sterben.«
    Ihre Stimme klang weich und tief in seinen Ohren wie weit entfernter Donner. »Du wolltest sterben?
    Warum, Mutter?«
    Mammut stieß die Luft aus, und die Atemwolke umwirbelte sie und stieg empor.
    »Du hast uns im Stich gelassen, Sonnenjäger. Für uns Mammuts gibt es nun nichts mehr auf dieser Erde.«
    »Nein, so ist es nicht. Ich … ich kann nur im Moment den Weg nicht finden«, sagte er. »Ich werde wieder durch das Labyrinth durchkommen. Gib mir mehr Zeit.«
    »Es gibt keine Zeit mehr, Sonnenjäger. Die Welt verändert sich zu schnell für uns. Die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, die riesigen Inlandseen trocknen aus, und die Grasarten ändern sich. Die Zahl der Bisons wächst, und sie nehmen uns die letzten guten Weidegebiete weg. Wir verhungern. Wir sind krank. In unserer Schwäche sind wir leichte Beute für die Menschen mit ihren tödlichen Speeren und mächtigen Atlatls. Es ist Zeit für uns zu gehen.«
    »Ist deswegen die Mammutherde ins Meer gelaufen?«
    »Sie haben versucht, das Land der Toten jenseits des Meeres zu erreichen. Sie hatten die Donnerwesen angefleht, sie holen zu kommen. Schließlich haben sie beschlossen, die Reise alleine zu machen. Wie tapfer sie waren. Es ist für niemanden einfach, zuzugeben, daß seine Zeit vorbei ist.
    Eines Tages, Mensch, wird auch deine Art dieser Wahrheit ins Gesicht sehen müssen.«
    »Hilf mir, Mutter«, flehte Sonnenjäger. Er streckte die Hände bittend nach ihr aus. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät für euch. Wenn ich nur einen Weg an der neuen Windung im Labyrinth vorbei finde, kann ich wieder mit Wolfsträumer sprechen. Er wird mich führen und sagen, wie ich die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen kann, damit ihr genug Futtergräser findet. Ich war so damit beschäftigt, die Kranken zu heilen, daß ich keine Zeit zum Träumen hatte. Aber Wolfsträumer hat versprochen, all deine Verwandten vom Land der Toten zurückzubringen, wenn ich die Dinge wieder ins Lot gebracht habe. Vielleicht gibt es einen Ort, wo die Bisons nicht so zahlreich sind. Vielleicht…«
    »Warum kannst du uns nicht einfach sterben lassen, Mensch? Es ist nichts Schlechtes am Sterben.«
    Sonnenjäger legte die Hand in den Schoß. »Ich kann euch nicht gehen lassen, Mutter. Ich brauche euch. Die Menschen brauchen euch.«
    »Wozu?«
    »Um unserer selbst willen. Versteh doch! Wir haben so lange Mammuts gejagt und gegessen, daß wir Mammuts sind. Unser Körper ist aus dem euren gemacht. Wie eure Kinder. Euer Blut fließt in unseren Adern. Wer sind wir noch, wenn ihr verschwunden seid?«
    Die Kuh bewegte sich kaum.
    Sonnenjäger zog die Knie an und legte die Stirn darauf. »Du verstehst es nicht.«
    Am schlimmsten würde es im Winter sein. Jetzt mußte er an einem bitterkalten Wintermorgen, wenn der Schnee fast zwei Meter hoch um sein Zelt lag und er sich fragte, ob Sommermädchen jemals tapfer genug sein würde, aus ihrem langen Winterschlaf zu

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