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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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erwachen, nur ein Mammut sehen, um sich warm zu fühlen - als wüßte er tief in seinem Innern, wie es war, unter diesem dicken, wolligen Fell zu leben.
    Aber er mußte ein Mammut sehen, um sich daran zu erinnern, daß er es wußte. Vielleicht würde seine Seele niemals wieder warm werden. Oder es wäre ihm nur noch in seinen Träumen warm - wie der alten Frau, die noch die Mastodons erlebt hatte.
    Leidenschaftlich fragte er: »Was geschieht mit unseren Seelen, Mutter, wenn unser Fleisch sich zu dem von Steppenhuhnküken gewandelt hat? Statt in unseren Träumen zu trompeten, werden wir lernen müssen zu glucken.«
    Trotz der Dunkelheit sah er ein belustigtes Funkeln in den auf ihn gerichteten Augen.
    »Glaubst du das? Glaubst du, daß die Seele der Menschen sich ohne Mammuts verändern wird?«
    »Ja, das glaube ich. Bitte, ich brauche einfach mehr Zeit.«
    Die Kuh wurde still. Mit dem Rüssel zog sie jeden einzelnen der in ihrem Fell steckenden Speerschäfte heraus und ließ ihn in die Blutlache unter ihrer Brust fallen. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Ihr fellbedeckter Körper wirkte wieder glänzend und unversehrt. Sie senkte das Kinn, legte es auf die Vorderbeine und sah ihn unverwandt an. Ihre Augen brannten wie Fackeln.
    »Es gibt eine Stelle beim Meer, wo du eine Antwort erhalten wirst, Sonnenjäger eine Felshöhle an einem schmalen Felsband hoch oben im Kliff. Sie ist sehr schwer zu finden. Es gibt nur einen Weg dorthin …«
    Heilige, immer wieder vom Jammergeschrei der Trauernden durchbrochene Gesänge drangen unheimlich durch den nebligen Küstenwald. Das rhythmische Dröhnen von Kesseltrommeln vermischte sich mit dem Tosen der Brandung und dem Kreischen der Seemöwen. Wie Geister bewegten sich die Menschen durch das zerstörte Dorf. Mit großen Schritten stiegen sie über die zertrampelten Zelte und gingen im weiten Bogen um die Mammutkadaver herum. Sie schritten von Leichenbahre zu Leichenbahre und legten Geschenke neben die Körper ihrer Verwandten. Überall lagen Leichen, die für die Totenfeier vorbereitet wurden. Einige wurden gebadet, andere mit ihren besten Festtagsgewändern bekleidet, andere wiederum erhielten die abschließende rituelle Bemalung, und Gebetsfedern wurden an ihre Bahren gehängt.
    Berufkraut senkte den Kopf, als Sumach rotblaue Streifen auf Bergsees Stirn malte. Balsam hockte schluchzend neben ihm. Ihre kleine Schwester lag auf einer Bahre aus mit Rohlederstreifen zusammengebundenen Kiefernschößlingen. Sie war so bleich wie die Meeresgischt im Schimmer des Morgengrauens. Die früher rosige Haut war über den Gesichtsknochen eingefallen, so daß die Nase länger wirkte und der kleine Mund wie ein Fischmaul vorstand. Wenigstens trug sie ihr schönstes Kleid aus Wolfsleder. Es war in einem warmen Goldton gebeizt und auf der Brust mit Spiralen aus roten und grünen Stachelschweinborsten verziert. Mehrere Lagen bunt bemalter Häute bedeckten ihren Körper von der Hüfte an abwärts. Ihre Familie hatte als Zeichen ihrer Liebe Häufchen seltener und bunter Muscheln darauf gelegt.
    Sumachs leises Weinen zerriß Berufkraut das Herz. Tränen rannen über ihre alten Wangen und sammelten sich in den tiefen Falten ihres Gesichts. Die Lippen hatte sie kummervoll über dem zahnlosen Gaumen zusammengepreßt, und das Haar hing wirr und feucht herab. Sie war in jeder Hinsicht wie Bergsees Mutter gewesen, hatte sich um sie gekümmert, ihr alles beigebracht, sie von einer Kinderkrankheit zur nächsten begleitet. Bergsees Tod mußte Sumach mehr schmerzen als den Rest der Familie.
    Doch als Berufkraut seinen Großvater in der Menge suchte, fragte er sich, ob das stimmte. Melisse saß, Schultern und Kopf an eine Tanne gelehnt, am Rande des Durcheinanders. Er betrachtete das geschäftige Treiben aus halbgeschlossenen Augen. Das graue Haar hing zu beiden Seiten des vom Weinen geschwollenen Gesichts herab. Sein magerer Körper begann sichtbar schwächer zu werden.
    Melisse hatte sich seit zwei Tagen kaum von der Stelle gerührt und war gerade lange genug aufgestanden, um seine Verantwortung als Dorfoberhaupt wahrzunehmen, was meistens zur Folge hatte, daß Klebkraut sich mit ihm über unwichtige Dinge stritt.
    Seit der Ratsversammlung war der falsche Träumer arrogant und angeberisch geworden. Er ritt auf der Tatsache herum, daß Sonnenjäger den Weg verloren hatte, und berichtete flüsternd, daß er - Klebkraut - das Land der Toten erreicht und mit Wolfsträumer selbst gesprochen habe.

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