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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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einen kleinen Wasserfall, der in Kaskaden herabstürzte und am Fuße des Absturzes auf die Felsen plätscherte. Sonnenjäger hörte das Rufen aasfressender Vögel. Raben und Elstern krächzten, und über seinem Kopf zogen Bussarde ihre Kreise. Lange bevor er die Ausbuchtung umgangen hatte, nahm er den modrigen Geruch von Schimmel und Verwesung wahr.
    Das erste Skelett überraschte ihn. Hier lagen die Überreste eines Mastodons. Obwohl die Mastodons schon lange vor seiner Geburt ausgestorben waren, kannte er ihre Knochen gut.
    Gute Feder hatte ihn als kleinen Jungen zu einem der Friedhöfe der riesigen Tiere mitgenommen und ihm den Unterschied zwischen Mammuts und Mastodons erklärt. Das wuchtige Tier vor ihm war kleiner als ein Mammut und hatte einen flachen und keinen gewölbten Schädel. Anders als bei den Mammuts waren die Stoßzähne zurückgebogen. Als er näher kam, bemerkte er, daß die Zähne die Form eines abgerundeten Kegels hatten. Gute Feder hatte ihm gesagt, daß die Mastodons solche Zähne brauchten, da sie in Waldgebieten lebten und sich von Blättern und Zweigen ernährten, während die Mammuts mit abgeflachten Zähnen Gras kauten.
    Eine lange Speerspitze steckte tief in der dritten Rippe des Mastodons. Sie war aus feinem Feuerstein gefertigt und schimmerte in der Dämmerung dunkelrot. Das Tier war von Menschen gejagt worden und wahrscheinlich seinen Wunden erlegen. Es war jedoch deutlich zu sehen, daß niemand es zerlegt hatte. Der Bulle war also seinen Jägern entkommen und hatte sich zum Sterben bis hierher geschleppt.
    »Sei gesegnet, Vater. Ich hoffe, deine Seele läuft jetzt frei durch die Wälder im Land der Toten.«
    Sonnenjäger streichelte den riesigen Schädel.
    Als er tiefer in das versteckte Tal vordrang, traf sein Blick auf weitere Gerippe - Dutzende, vielleicht sogar hundert. Bei manchen war das Fell wie ein großer, grauer Kokon über den Knochen eingesunken. Die Gerippe waren über das ganze, in den Canyon eingeschnittene Tal verstreut.
    Er hörte ein leises Winseln und drehte sich um.
    Helfer lag im Gras und berührte mit der Schnauze den Rüssel der sterbenden Mammutkuh. Er ließ die Ohren hängen und starrte mit weit geöffneten Augen unverwandt auf die geschlossenen Lider der Kuh.
    Die war gestolpert und auf die Vorderbeine gestürzt. Sie hatte nicht mehr die Kraft, wieder aufzustehen. Die Hinterbeine zuckten im hohen Gras. Wie widernatürliche Federn steckten Speerschäfte in dem blutdurchtränkten Fell. Doch sie lebte. Vor ihrem offenen Maul wurde ihr Atem zu silbrigen Wölkchen. Der Anblick schmerzte Sonnenjäger bis tief in die Seele.
    »O Mutter, vergib mir.«
    Seine Stimme hallte in der Stille wider. Verängstigt zitterte die Kuh und stöhnte leise. Ihre Augenlider flatterten, als kämpften sie gegen ein großes Gewicht an, und öffneten sich schließlich.
    Sonnenjäger kniete neben Helfer nieder und blickte in das Auge des Mammuts. Aus der dunklen Tiefe stiegen Furcht und Schmerz empor.
    »Ich bin nicht gekommen, um dich zu verletzen, Mutter. Nicht noch einmal. Das schwöre ich.«
    Sonnenjäger streckte eine Hand aus und berührte sanft die graue Haut unter ihrem Auge. Die Falten fühlten sich weich und warm an wie sonnenbeschienenes Moos an einem Sommertag. Zum ersten Mal bemerkte er die Unterschiede in der Färbung der Haut, vom Blaßgrün der Augenlider bis zum tiefen Rotbraun der Stellen um ihr Maul.
    Plötzlich verkrampfte sich der Körper der Kuh. Die Hinterbeine zuckten schrecklich, und mit dem Rüssel schlug sie heftig auf das Gras, als versuchte sie, irgend etwas zu ergreifen, das sie im Leben zurückhalten könnte.
    Als ihre Muskeln sich wieder entspannten, war Sonnenjäger innerlich von so großem Schmerz erfüllt, als hätte er zerstoßene Obsidiansplitter verschluckt. Er sang die Seele der Kuh zum Land der Toten und betete zu Mammut-Oben, herabzusteigen und sie sicher bei der langen Reise über den Ozean zu fuhren. Und während der ganzen Zeit bat er um Vergebung. Das Mammut sah ihn müde blinzelnd an.
    Er wußte nicht, wie lange er diesem hoffnungslosen Blick standgehalten hatte, doch als die Augen der sterbenden Kuh glasig wurden, flackerten am Himmel schon Sterne durch eine dünne Wolkenschicht.
    Sonnenjäger legte sich auf die der Kuh zugewandte Seite und bettete die Wange auf dem langen, seidigen Haar, das von ihrem Unterkiefer herabhing. Es roch nach Gras und Sonne … und nach Blut.
    Kalt, eiskalt. Er fühlte sich kälter, als er es je bei einem lebenden

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