Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
muß.«
Atemlos wirbelte Turmfalke herum. Sonnenjäger betrat die Felsenhöhle. Er hatte das Hinterviertel eines Hirsches über die Schultern gelegt und die Finger um das Fesselgelenk geschlungen.
Für einen so großen Mann bewegte er sich mit der Lautlosigkeit und Anmut eines Löwen. Sein Haar und die Schultern der elchledernen Jacke waren schneebedeckt. Er ging direkt auf das Feuer zu. Helfer folgte ihm dichtauf. Als er Turmfalke sah, richtete er die Ohren auf und wedelte mit dem Schwanz.
»Ich habe diese kleine Hirschkuh am Rande des Zypressenwäldchens gefunden.« Sonnenjäger breitete eine Haut aus und legte das Viertel darauf. Eine dicke Fettschicht überzog das Hinterteil des Tieres.
»Sie hat ganz still gestanden und mir in die Augen geblickt, als ich den Speer auf sie warf.«
»Für diese frühe Jahreszeit ist sie schön fett. Wo ist der Rest?«
»Ich habe ihn in einen Baum gehängt. Hoch genug, um für die meisten Raubtiere keine Versuchung zu sein, hoffe ich, und da oben hängt er schön kalt.«
»Ja, vor allem, wenn dieser Sturm nicht nachläßt. Wird der Schnee hier im Wald zu Wehen zusammengetragen, wie in dem Hochland um die Seenplatte?«
»Nein, hier an der Küste kommt so etwas selten vor. Dieser Schnee schmilzt fast genauso schnell wie er fällt, obwohl das Wasser in unserem Kochsack heute nacht wahrscheinlich gefrieren wird.«
Helfer rannte durch die Höhle und warf sich neben Wolkenmädchen nieder, mit der Schnauze auf den Fuß ihres Kaninchenfellsacks. Turmfalke befürchtete, er könne ihre Tochter aufwecken, doch Wolkenmädchen schlief weiter, ohne etwas zu merken.
Sonnenjäger hockte sich Turmfalke gegenüber vor das Feuer und nahm eine Handvoll frischer Baumknospen aus seiner Jackentasche.
»Was für Knospen sind das?« fragte Turmfalke.
»Von der Pappel.«
»Pappelknospen habe ich noch nie gegessen. Schmecken sie gut?«
»Ziemlich bitter.« Er lächelte sie amüsiert an. »Du kannst ein paar essen, wenn du möchtest, aber aus dem Rest werde ich eine Salbe für deine Wunden machen. Sie haben die Macht, zu heilen.«
»Ah, ich verstehe. In meinem Klan verwenden wir Espenknospen für den gleichen Zweck und gegen Fieber.«
Er nickte. »Wir verwenden auch Espenknospen, wenn es welche gibt-«
Turmfalke sah zu, wie Sonnenjäger schützend seinen Ärmel über die Hand zog und dann einen der heißen Steine anstieß, die den Feuerring bildeten. Er drehte ihn herum, so daß die flache Unterseite nach oben kam, und legte die Knospen darauf. Bald begannen sie zu dampfen. Als er sein Messer aus der Gürteltasche zog, um einen dicken Fettstreifen von dem Hinterviertel zu schneiden, fragte Turmfalke: »Wirst du das Fett mit den Knospen zusammen schmelzen?«
»Das Fett an sich hilft auch schon, und außerdem bildet es eine Schicht, die die Heilkraft der Knospen in der Wunde hält.«
Als er den Fettstreifen auf die dampfenden Knospen warf, stieg ein merkwürdiger Geruch auf und hing stechend und schwer in der Luft.
»Wenn du ein langes Stöckchen aus dem Treibholzstapel ziehst, werde ich dir ein Stück Fleisch abschneiden«, sagte er. »Sie hatte kein Kalb bei sich. Das Fleisch sollte wunderbar saftig und geschmackvoll sein. Auch zart, sie war nämlich nicht mehr als zwei Jahresumläufe alt. Übrigens mußt du wieder zu Kräften kommen. Du hast einen anstrengenden Weg hinter dir.«
Sie senkte die Augen und versuchte, über ihre Besorgnis hinwegzulächeln. »Du … du ißt nichts. Schon wieder. Fastest du aus einem bestimmten Grund?«
»Ja«, antwortete er und wandte sich ab.
Turmfalke runzelte die Stirn, folgte aber seiner Aufforderung und legte ihm einen langen, dünnen Stock vor die Füße. Er schnitt in das saftige, rote Fleisch hinein, spießte ein dickes Stück auf das Ende des Stöckchens und reichte es ihr. Turmfalke schob das brennende Holz mit einem Ast zur Seite und legte die Glut frei, hängte ihren Fleischspieß so darüber, daß keine Flammen ihn berührten, damit das Holz nicht durchbrannte. Aufzischend tropfte Fett in die Glut.
Das Braten von Fleisch über offenem Feuer verlangte ein gewisses Geschick. Kam das Fleisch direkt mit den Flammen in Berührung, so verkohlte die Außenseite, während das Innere blutig blieb. Eine dicke Lage Glut jedoch strahlte Hitze ab, und wenn die Feuergrube mit Steinen gefüllt war, so hielten diese die Hitze und verteilten sie gleichmäßig.
Turmfalke lief das Wasser im Mund zusammen, als das Fleisch bräunte und der leckere Duft die Luft
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