Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
umdrehte und Sonnenjäger wieder anblickte. Sonnenstrahlen drangen durch die raschelnden Blätter und überzogen sein Haar und sein Gesicht mit einem zitternden goldenen Flechtwerk.
    Turmfalke verstand, warum so viele Menschen seinen Namen in ihren Gebeten sprachen. Sein gutgeschnittenes Gesicht hatte etwas beruhigend Friedliches, als hätte das Schwitzbad ihn bis in die Seele reingewaschen. Wie Wasser von einer Quelle ging Macht von ihm aus. Die Haut in ihrem Nacken prickelte. Trotz ihrer Ehrfurcht regte sich Angst in ihr - nicht vor ihm, sondern um ihn. Was würde er tun, wenn es ihm heute wieder nicht gelang zu träumen?
    Wie viele Menschen haben dich jemals weinen sehen, Sonnenjäger? Oder dich ernsthaft über Einsamkeit sprechen hören? Bitte, Mammut-Oben, laß ihn den Weg durch das Labyrinth finden.
    Turmfalke kletterte neben Sonnenjäger auf den Fels und stellte die mit Farbe gefüllten Muschelschalen neben ihrer rechten Hand auf. Sonnenjäger duftete angenehm nach Minze. Er mußte ein paar Zweiglein in die Wasserschale geworfen haben, bevor er sie auf den heißen Steinen ausgeschüttet hatte. Turmfalke faltete den Saum ihres Kleides, um ihre Knie gegen den rauhen Fels zu polstern, und wartete.
    Die dünnen, weißen Stämmchen der Espen wuchsen dicht um sie herum und schienen sich vorzubeugen, als würden sie das Geschehen unten aufmerksam und ängstlich verfolgen. Turmfalke atmete kräftig durch, um sich vorzubereiten. Von der Schwitzhütte her drang der stechende Geruch feuchter Häute.
    In einiger Entfernung ragte die Landzunge, wo sie in der vergangenen Nacht gelagert hatten, wie ein schmaler Finger ins Wasser. Ein Schwarm schwarz-weißer Alke ließ sich in der Nähe der Spitze treiben und tauchte nach Tintenfischen und Fischlein. Mutter Ozean wogte um sie herum auf und ab.
    Das Gekreisch vereinigte sich in einem merkwürdigen Rhythmus mit dem Geräusch der Brandung.
    Sonnenjäger hörte auf zu singen und neigte den Kopf. Turmfalke sah, wie seine Schultermuskeln sich spannten. »Turmfalke!«
    »Ich bin hier, Sonnenjäger.«
    »Hast du je zuvor jemanden träumen sehen?«
    »Nein. Außer bei der Ameisen-Tortur.«
    Er hielt einen Moment inne. »Dies hier wird anders sein. Hab keine Angst. Vielleicht werde ich tagelang nicht aufwachen, weil ich mich so sehr bemühe, den Weg zu finden. Verstehst du?«
    »Ja«
    Er streckte eine Hand nach hinten aus, und Turmfalke nahm sie zwischen die Hände und drückte sie kräftig. »Träum gut, Sonnenjäger. Ich werde mein Bestes für dich tun.«
    »Das weiß ich.«
    Seine tiefe, wohlklingende Stimme beschwichtigte ihre Furcht. Turmfalke ließ seine Hand los, und er krümmte langsam die Finger, als wollte er das Gefühl ihrer Hände noch ein wenig länger genießen.
    Schließlich zog er die Hand in den Schoß zurück und begann seinen leisen Gesang von neuem.
    Die Schatten der raschelnden Espenblätter flatterten durch das Wäldchen wie dunkle Schmetterlinge.
    Turmfalke tauchte die ersten zwei Finger ihrer rechten Hand in die warme und ölige schwarze Farbe.
    In Ordnung, Turmfalke. Male das Bild, das dir vor Augen steht. Es ist ein Baum, aber die Zweige winden sich wie Teile des Labyrinths, das Sonnenjäger in den Boden der Felsenhöhle geritzt hat. Ja… ja, das ist es. Sie legte die linke Hand auf Sonnenjägers Schulter und begann mit der rechten Hand zu malen. Bei ihrer sanften Berührung durchlief ihn ein angenehmes Schauern. Turmfalke malte sorgfältig auf den unteren Teil seines Rückens den Stamm und die drei Hauptäste, die sich von ihm verzweigten. Die beiden äußeren Äste ragten wie zwei dicke Bisonhörner empor, aber der mittlere Ast wand sich wie eine Schlange einmal nach oben und einmal nach unten, bog nach links ab und dann wieder nach rechts.
    Turmfalke setzte sich zurück, um ihre Arbeit zu betrachten, und ihr Lederrock breitete sich mit seinen dichten Fransen um ihre Beine aus. Sie rieb ihre mit schwarzer Farbe bedeckten Finger am Fels sauber. Sonnenjägers Gesang war monotoner geworden. Sie konnte die einzelnen Worte nicht länger unterscheiden, sie waren in einem harmonischen Ganzen aufgegangen.
    Der Rest des Bildes würde viel schwieriger sein. Die durch den Ast geschaffenen Abschnitte mußten sich an genau den richtigen Stellen vereinigen und wieder trennen. Und sie würde das Astende malen müssen. Sie betete, daß ihre Kunst nicht Sonnenjägers Seele verwirrte. Als sie ihre Finger in die rote Farbe tauchte, flatterte von oben ein Vogel herbei und

Weitere Kostenlose Bücher