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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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setzte sich in einen Ast über Helfers Kopf. Ein Kleiber. Welch ein schöner Vogel. Das Rückengefieder war blaugrau, die Brust rostfarben, und am Auge hatte er einen kühnen schwarzen Strich. Unter lautem, nasalem nyak-nyak-Geschrei kamen zwei weitere Kleiber herangeflogen und landeten in derselben Espe. Turmfalke lächelte. Der erste Kleiber lief unbekümmert den Stamm hinab und begann auf der Suche nach Insekten unter der Rinde zu picken.
    Turmfalke nahm die Finger aus der Farbe und stellte fest, daß der Alkschwarm, der sich bei der Spitze der Landzunge hatte treiben lassen, nun zum Rande des Espenwäldchens gekommen war. Die Vögel verrenkten sich den Hals, um zuzuschauen. Es waren vierzig oder mehr Alke. Sie piepsten leise durcheinander.
    Helfer betrachtete die Vögel mißtrauisch aus einem halbgeöffneten Auge. Wolkenmädchen weinte.
    Das schrille Geschrei schien die Vögel nicht zu stören.
    Als Turmfalke den nächsten Teil des Labyrinths in Angriff nahm und den Finger auf Sonnenjägers Rücken legte, spürte sie ein Kribbeln in den Fingerspitzen. Sein Körper strahlte Wärme aus.
    Nachdenklich zog sie die Hand zurück.
    Wo bist du, Sonnenjäger? Schon auf dem Pfad? Ist es das, was die Tiere spüren?
    Sie schluckte heftig, warf einen Blick auf die Alke und Kleiber und setzte die Finger wieder an, um die kräftige rote Linie zu ziehen. Dann die weiße …
    Turmfalke konzentrierte sich so stark auf das richtige Auftragen der roten und weißen Linien, daß sie nicht einmal bemerkte, wie der Einfall der Sonne sich änderte. Vater Sonne machte seine tägliche Reise über den Bauch von Bruder Himmel, bis sein Körper sich mit dem von Mutter Ozean vereinigte.
    Dort, wo sie sich trafen, floß eine Lichtgarbe nach außen und schien die Oberfläche des Wassers in geschmolzenes Gold zu verwandeln.
    Turmfalke ließ die Hand auf den kühlen Granitfelsen sinken und beobachtete das prachtvolle Schauspiel. Hoch am Himmel erglühten hauchzarte Wölkchen wie vom Feuer erfaßte Spinnenweben.
    Hinter ihr ertönte ein schwaches Grunzen, und Turmfalke zuckte zusammen. Sie wirbelte herum, und ihre Augen weiteten sich.
    Wie lange waren sie schon da? Das Mammutkalb lag im üppigen Gras auf der Seite und hatte den Rüssel vertrauensvoll um den seiner Mutter geschlungen.
    Wie hatten die Mammuts so nah herankommen können, ohne daß sie es gehört hatte? Das Kalb schlug verspielt mit dem Schwanz. Die Kuh begegnete Turmfalkes Blick mit Gleichmut, doch die braune Tiefe ihrer Augen war von dunklen Gefühlen aufgewühlt. Wie einen kalten Wind an einem warmen Tag konnte Turmfalke die Angst des Mammuts spüren.
    Sie flüsterte: »Er versucht es, Mutter. Wirklich. Gerade jetzt durchschreitet er das Labyrinth, um zum Land der Toten zu kommen. Dann kann er euch helfen.«
    Die Kuh hielt den riesigen Kopfschief, als hörte sie zu. Dann machte sie einen Schritt nach vorn und blieb kurz vor Turmfalke stehen. Wie ein Turm ragte sie vor ihr auf. Niemand, der nicht so zu einem Mammut aufgeschaut hatte, würde je verstehen, wie groß die Tiere waren.
    Der Moschusgeruch der Kuh erfüllte die Luft, und das Licht der untergehenden Sonne schimmerte rötlich in dem langen Fell des riesigen Tieres. Schlamm überzog die schwerfälligen Füße, die so fest auf dem Boden standen. Turmfalke war der Kuh so nahe, daß sie die Hautfetzen sehen konnte, die sich von ihrem langen Rüssel abschälten.
    Turmfalke nahm ihren Mut zusammen und fragte: »Wie kommt Sonnenjäger weiter? Geht es ihm gut?«
    Die Kuh kniete sich graziös auf die Vorderbeine und ließ dann ihren Körper neben dem Kalb ins Gras sinken. Mit dem linken Fuß stemmte sie sich gegen den Felsen, auf dem Turmfalke und Sonnenjäger saßen. In ihren kurzen, gebogenen Stoßzähnen hing Gras. Wie leise die Mammuts sich bewegten.
    »Kannst du Sonnenjäger helfen, Mutter? Er braucht alle Hilfe, die möglich ist.«
    Die Kuh bewegte schwach die Ohren, doch in ihren mit faltiger Haut umgebenen Augen glomm noch immer ein leuchtender Funke.
    Auf der anderen Seite des Felsbrockens hatten sich die Alke eng aneinandergeschmiegt hingelegt. Die Kleiber hockten mit aufgeplustertem Gefieder auf ihren Zweigen. Der Wind erstarb, und die Espenblätter hörten auf zu rascheln.
    Alle warteten … die ganze Welt wartete.
    Turmfalke machte sich mit einem unbehaglichen Gefühl wieder an ihre Malerei. Die Mischung aus Fett und Flechten hatte eine schwachgrün getönte, flammende Goldfarbe erhalten. Sie zog die Muschelschale näher

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