Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
Riesenwölfe sind so schwer zu erlegen!
Er hatte von Wölfen gehört, die von zwölf Speeren getroffen waren und denen es dennoch gelang, ihren Jägern die Kehle zu zerreißen, bevor sie ihren Wunden erlagen. Der Wind wechselte die Richtung und und trieb eine seltsame, widerliche Ausdünstung auf Sonnenjäger zu, einen ekligen, merkwürdig menschlichen Geruch von Rauch und gebratenem Fleisch.
Der Riesenwolf erreichte die Kuppe des Hügels. Seine stechenden Augen erschienen Sonnenjäger wie rotglühende Schüreisen, und er glaubte etwas Bekanntes in diesem haßerfüllten Blick zu bemerken.
Der Wolf stieß ein triumphierendes Geheul aus und griff an.
Sonnenjäger schwang den rechten Arm vor und schleuderte den Speer mit aller Kraft. Der Riesenwolf sprang wie ein Geist-Tänzer zur Seite und wirbelte herum. Dann taumelte er und jaulte.
Der Speer hatte die Schulter getroffen und wippte dort bei jedem gequälten Sprung des Tieres auf und ab.
Mit von Panik getrübten Sinnen rannte Sonnenjäger auf die nächsten Bäume zu.
Der trommelnde Aufschlag der Wolfspfoten war beängstigend dicht hinter ihm. Die nach Rauch stinkende menschliche Ausdünstung des Tieres stieg in seine Nase. Sonnenjäger erreichte den Wald und lief auf die nächste Kiefer zu, steckte seinen Atlatl in den Gürtel und sprang nach dem niedrigsten Ast. Er schwang sich hoch, so daß er sich mit dem Knie an einem anderen Ast festklammern konnte.
Doch bevor er noch höher klettern konnte, sah er aus dem Augenwinkel das Aufblitzen eines weißen Fangs. Ein brennender Schmerz durchdrang seine Brust und den rechten Oberarm, als die Klauen und Zähne des Wolfes seine Haut aufrissen. Er wurde vom Baum herab zu Boden geschleudert.
Hart schlug er auf dem mit Nadeln bedeckten Waldboden auf und rollte sich schnell auf die Knie. Der Wolf stand nicht mehr als zehn Schritte entfernt, seine Augen glühten vor Haß.
Warum greift er nicht an? Sonnenjäger rang keuchend nach Luft und bereitete sich auf den nächsten Angriff vor.
Etwas wie Furcht flackerte in den dunklen Augen des Tieres.
Sonnenjäger ließ die rechte Hand langsam zu dem Speerköcher auf seinem Rücken gleiten. Weglaufen war sinnlos. Bevor er auch nur auf den Beinen war, würde die Bestie losspringen und ihn wieder zu Boden schleudern. Sein Blut durchtränkte warm das zerrissene Hemd und rann ihm den Arm hinunter.
Die Zähne des Wolfes hatten seine Brust nur gestreift, waren aber tief in den Arm gedrungen, fast bis zum Knochen, und hatten eine Arterie aufgerissen. Sonnenjäger konnte nun keinen Speer mehr werfen, zumindest nicht mit dem rechten Arm. Mit dem linken aber vermochte er nicht genau zu zielen und auch nicht kraftvoll genug zu werfen, um lebenswichtige Organe des Tieres zu durchbohren. Er mußte seinen Speer wie ein Lanze benutzen, und das mit der linken Hand.
Zitternd zog er den Speer aus dem Köcher und streckte ihn vor sich aus. Er hielt dabei nur lange genug inne, um seinen Geist in die sorgfältig behauene Steinspitze zu atmen. Die mit Rillen versehene Oberfläche des blutroten Feuersteins hatte einen schwachen, tödlichen Schimmer. Sie war für den alles entscheidenden Einsatz bereit. Die geriffelte Spitze war mit Sehnen an einen Vorderschaft aus Traubenkirschenholz gebunden. Sein verstorbener Freund Kleiner Wapiti hatte sie gearbeitet. Die Schneide war scharf genug, um Haare damit zu schneiden.
Der Wolf stieß ein grollendes, tief aus der Kehle aufsteigendes Knurren aus und schlich dann fast lautlos heran. Speichel tropfte ihm aus dem Fang und überzog seine Brust mit weißem Schaum. Der Speer in seiner Schulter war beim Kampf abgebrochen, doch ein kurzes Stück des geglätteten Weidenschafts ragte noch immer hervor. Es war mit Blut überzogen. Die Wunde war nicht tödlich, selbst auf längere Sicht nicht, es sei denn, daß böse Geister eindrangen und das Fleisch sich eitrig entzündete. Auf jeden Fall aber würde der Wolf für Wochen behindert sein.
Als der Wolf näher kam, beschnüffelte er den Waldboden und leckte hungrig an den Flecken von Sonnenjägers Blut, so wie ein Träumer den Nektar heiliger Pflanzen trinken würde, um ihre Macht zu gewinnen.
Mit trockenem Mund legte Sonnenjäger den langen Speer in den Atlatl ein und hockte sich stoßbereit nieder. Das Tier witterte seine Furcht, seine äußerste Verzweiflung. Es hob ruckartig den Kopf und schoß mit einem scharfen Knurren nach vorn.
Doch als verstünde er die Drohung, tänzelte der riesige Wolf zur Seite und
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