Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
Klang von Wolfsträumer Stimme nicht um. Noch immer starrte er die Ruinen unverwandt an. Die prächtigen, die Götter darstellenden Gemälde, die einst die weiß verputzten Wände bedeckt hatten, waren zerbröckelt. Nur die großen Figuren der Yamuhakto, der großen Krieger des Ostens und des Westens, schmückten noch die Vorderseite des Gebäudes. Sie trugen Blitze in den Händen, die auf den Dorfplatz gerichtet waren. Doch das kräftige Rot, Blau und Gelb ihrer schreckenerregenden Masken war völlig verblaßt.
Als Wolfsträumer neben Sonnenjägerstand, sah er, daß der Träumer mit beiden Händen ein Steinmesser umklammert hielt. Es war eines der seltenen Turkismesser, die die großen Priester bei den Zeremonien benutzt hatten. Sonnenjäger hatte den Stein so lange und so fest umklammert, daß er in zwei Teile zerbrochen war.
Wolfsträumer setzte sich hin und stützte sich auf die Ellbogen. Auf Sonnenjägers Haar und kantigem Gesicht lag eine dünne Schicht roten Staubs. Der Staub hatte sich mit Tränen vermischt und tief in die Falten um Sonnenjägers schwarze Augen gelegt. Er sah sehr müde und verletzt aus.
Wolfsträumer hob das Gesicht. Da Vater Sonne sich schon auf seiner nachmittäglichen Reise nach Westen befand, waren große Teile des Platzes mit Schatten bedeckt. Kühl lagen sie auf Wolfsträumer bronzefarbener Haut.
»Dies hier ist ein erhabener Ort«, sagte Sonnenjäger. Seine Stimme klang heiser, als wäre sein Hals vom vielen Beten rauh.
»Das war er. Ich erinnere mich an hundert prachtvolle Sommersonnwendfeiern. Wenn Vater Sonne die ersten Strahlen über den östlichen Horizont sandte, drangen sie in die heiligen Zeremonienräume ein, und die Klanältesten brachen in Gesänge aus, die die Welt bis in ihr Fundament erbeben ließen.
Sie sangen die Götter ins Leben. Sie tanzten die Welt ins Gleichgewicht zurück.« Wolfsträumer machte eine Pause und zeigte auf die Großen Krieger. »In den letzten Tagen bemalten die Menschen alle Wände, um die Macht zurückzuhalten, die den Canyon verlassen wollte.«
Sonnenjägers Miene verriet Bestürzung. »Aber die Macht ist fast tot. Den ganzen Tag habe ich versucht…«
»Ja, im Laufe der Jahrhunderte sind ein paar Spuren der Macht zurückgekehrt, aber nicht viele.«
»Willst du damit sagen, daß es eine Zeit gab, in der die Macht völlig verschwunden war?«
,Mit jedem Baum, den sie fällten, jedem Feld, das sie bestellten, jedem Kriegsschrei, den sie ausstießen, blutete die Kraft ihrer Zivilisation mehr aus, bis die letzten Spuren der Macht vom sengenden Sommerwind weggeblasen wurden.«
»Aber wie konnte das geschehen? Warum hat die Macht sie verlassen?«
Wolfsträumer schaute mit zusammengekniffenen Augen zum Sonnenlicht hinauf, das über den zerklüfteten Rand der Steilfelsen hinwegspielte. Lichtflecken fielen schimmernd auf die überall in die Sandstein wände gemeißelten Muster. Die steinernen Spiralen riefen ihn an, er hörte ihre schwachen, aber leidenschaftlichen Stimmen: »Rette uns! Laß uns nicht sterben. Es war nicht unsere Schuld. Wir haben unser Bestes gegeben.«
Er ließ den Blick wieder sinken und rieb mit dem Finger über den rauhen Sandstein. »Weil es damals schon zu spät war.«
Sonnenjäger umklammerte die Hälften des Türkismessers noch fester. »Und ihre Träumer waren nicht stark genug, die Macht zurückzuholen?«
»Ihr größter Träumer er hieß Wassergeborener hatte lange vor dieser Zeit versagt, und die Gesamtheit der Träumer, die damals lebten, konnten sie dann nicht mehr retten. Obwohl sie alles versuchten.
Die Alten, die diese darnieder liegende Zivilisation aufgebaut hatten, riefen all ihre Träumer, die großen wie die kleinen, zusammen und isolierten sie in diesem unterirdischen Zeremonienraum dort drüben auf der Nordseite des Dorfplatzes.« Wolfsträumer zeigte dorthin. »Sie sangen und fasteten beinahe einen Mond lang und saugten jedes bißchen Macht aus den Steilfelsen, den Tieren und den vorbeiziehenden Wolken.«
»Und doch haben sie versagt?«
,Es war so wenig Macht übrig, Sonnenjäger, daß das Wenige, was sie sammeln konnten, ihnen nichts geholfen hat.
Dieser Ort ist einer der eindrucksvollsten, aber nicht der einzige. Über das Land und die Zeit verstreut, gibt es noch viele andere Orte. Ich hätte dich zu Cahokia oder Etowah, zum Medicine Wheel, zu Tippecanoe oder zum Wounded Knee bringen können. All dies sind Orte, wo Menschen gesungen, getanzt und gebetet haben … und gestorben
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