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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Schnauze hoch erhoben witterte er in den Wind, als wäre er auf der Jagd.
    »Turmfalke!« rief eine bekannt klingende Stimme.^ Mit rauher Stimme antwortete sie: »Berufkraut, hier bin ich!« Sie sah, wie er den Pfad entlang auf sie zulief. Aufmerksam wandte er den Kopf hin und her und spähte lauernd nach allen Seiten. In der rechten Hand trug er einen Atlatl, in den ein Speer schußbereit eingelegt war. Die steinerne Spitze seines Speers glitzerte in den silbernen Strahlen des Mondlichts. Als er sie sah, begann er zu rennen. »Turmfalke!«
    Berufkraut kniete sich neben ihr nieder. Seine jungen Augen verengten sich, als er erkannte, was mit Stechapfel geschehen war. Sanft streckte er eine Hand aus und legte sie auf Turmfalkes schmerzende Fäuste, die noch immer um das lederne Band geklammert waren.
    »Du kannst jetzt loslassen, Turmfalke. Er ist tot. Laß los, Turmfalke. Entspanne dich, bitte!«
    »Nein, nein! Vielleicht ist er noch am Leben. Ich … ich kann nicht loslassen. Noch nicht. Nur noch etwas länger. Ich muß … noch ein wenig länger festhalten. Um Wolkenmädchens willen. Sie wird niemals sicher sein, wenn er am Leben bleibt.«
    Berufkraut nickte mitfühlend und blickte auf die tiefen Wunden, die der Bär in Stechapfels Beine gerissen hatte. Noch immer quoll in dunklen Strömen Blut daraus hervor und versickerte im Waldboden.
    Leise sagte Berufkraut: »Der Bär hat gute Arbeit geleistet. Man könnte fast meinen, er kennt sich aus.
    Er hat die Schlagadern aufgerissen. Dein Mann wäre verblutet, selbst wenn du ihn nicht erwürgt hättest, Turmfalke.«
    Er drehte sich wieder um und blickte sie freundlich an. Seine Hand legte sich warm auf ihre Haut, und er streichelte ihre schmerzenden Finger. »Bitte, laß jetzt los, Turmfalke. Er ist tot. Darauf gebe ich dir mein Wort. Er ist gestorben. Nie mehr wird er dir oder deinem Baby etwas antun. Laß jetzt los, Turmfalke! Du hast es getan. Es ist vorbei.«
    Doch geblendet von einem silbrigen Tränenstrom konnte sie die verkrampften Finger nicht spreizen.
    Ihre Hände gehorchten ihr einfach nicht.

44. KAPITEL
    Turmfalke schleppte sich müde den steilen östlichen Pfad hinauf, der zum Otter-Klan-Dorf führte. Sie brauchte all ihre Kraft dafür, immer wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie war müde, durch und durch erschöpft. Würde sie sich jemals wieder ausgeruht fühlen? Sie warf einen Blick auf Berufkraut, der mit grimmiger Miene neben ihr her ging.
    Trotz des Gefühls von Taubheit in ihrem zerschlagenen Körper und ihrer Seele fragte sie sich, was er wohl von ihr denken mochte. Sie war seine Verwandte - und eine Mörderin.
    Beim Feuer auf der Hügelkuppe hörte sie einen Mann sprechen. Jemand war also noch auf. Aber wie viele würden in einer solchen Nacht wohl schon Schlaf finden? Wie von einem frühen Winterwind losgerissene Blätter waren Beschuldigungen des Mordes, der Hexerei und der Gewalttätigkeit nur so herabgeregnet.
    Sie blickte hoch. Ein dünner Wolkenschleier hatte sich über den ganzen Himmel gelegt. Die meisten der Angehörigen des Sternenvolkes waren verschwunden, aber die Wolken hatten einen prächtigen, vielfarbigen Schein um das Gesicht von Alter-Mann-Oben gebreitet. Der Wind war zu einem sanften Wehen abgeflaut. Er trug den Geruch von Regen und das unheimliche Geheul von Wölfen mit sich.
    Auf dem jungen Gras lag eine glänzende Tauschicht, so daß man aufpassen mußte, nicht auszurutschen.
    Berufkraut warf immer wieder Blicke auf das Bündel, das sie in den Armen trug. Das tote Baby war so leicht, als läge es gar nicht auf dem Salbeipolster im Innern des Bündels. Aber sie konnte den Jungen dort fühlen. Seitdem sie das Bündel aufgehoben hatte, war ein merkwürdiges, warmes und zufriedenes Glühen durch das weiche Leder gedrungen. Es wurde ständig stärker. Sie hätte nie damit gerechnet, wieder mit diesem winzigen Kind, das sie zur Welt gebracht hatte, vereinigt zu werden. Doch nun weitete sich ihr Herz vor Freude.
    Mein armer Sohn, seit diesem schrecklichen Tag hast du so viel durchgemacht. Vergib mir. Hätte ich das gewußt, hätte ich dich niemals dort beim Fluß gelassen, wo Stechapfel dich finden konnte.
    Turmfalke preßte das tote Baby an sich, als sie an der Stelle vorbeikam, wo Tannin getötet worden war. Dessen Leiche lag nicht mehr dort, aber noch immer hing Traurigkeit in der Luft. Sie verdichtete sich über der schwärzlich roten Blutlache, als wäre sein Geist zurückgeblieben und versuchte herauszufinden, was

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