Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Nein. Wenn du der Maske folgst, wird dein Geist in alle Ewigkeit in Finsternis umherirren und für immer vergessen sein.«
Er erstarrte. »Vielleicht würde ich lieber Bunte Krähe dienen, als deinem Rat folgen.«
Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Du willst dir selber dienen. Aber das weiß die Maske sicher auch.«
Wanderdrossel ging zu Grünspecht und gab den Befehl: »In kleine Trupps aufteilen. Untersucht alle Wege nach Spuren! Sie können noch nicht weit sein. Dürfte ein leichtes sein, Sternmuschel, ihre Tochter und den Zauberer aufzuspüren.«
Grünspechts magerem Körper sah man die Kraft und Ausdauer, die er besaß, nicht an. Er trug einen Umhang aus Federn über einem dicken Winterhemd und Leggings. Betreten blickte er zum Himmel.
»Anfangs waren nur Sternmuschel und Glimmervogel darin verwickelt, aber jetzt ist es auch der Zauberer. Ich brauche dir ja wohl nicht zu erzählen, wie mächtig ein Zwerg ist.«
»Ich weiß, mein Freund, ich kenne die Gefahr. Aber ich werde sehr, sehr vorsichtig sein.«
Wanderdrossel senkte die Stimme. »Ich habe eine Perle in Minzblättern geschluckt.«
»Das schützt gegen Zauberei.«
»Genau.« Wanderdrossel packte Grünspecht an der Schulter. »Jetzt teile die Suchtrupps ein. Was wir jagen, kann nicht weit sein.«
Grünspecht wandte ein: »Es schneit gleich wieder; dann sind die Spuren schwer zu finden.«
»Sie sind nach Norden marschiert, zur Sternhimmelstadt. Das fühle ich.«
»Und warum nicht nach Süden, Richtung Schlangenstadt? Vom Fluß können sie jede Richtung gewählt haben. Vielleicht westlich zu den Buntbemalten ? Auch könnte der Zauberer die Maske nach Osten bringen, wo die meisten Clans der Langschädel wohnen; oder zu ihren Clans südlich vom Schlangenfluß.«
»Sternmuschel ist immer noch die verwöhnte Tochter. Sie wird so schnell wie möglich zu ihrem Vater wollen.« Wanderdrossel starrte schon nach Norden, in das breite Mondmuscheltal.
Dort wird sie hingegangen sein.
»Schick unbedingt Suchtrupps in alle Richtungen aus. Wir müssen jede Möglichkeit in Erwägung ziehen.«
Grünspecht ging zu den Kriegern zurück, um die nötigen Befehle zu erteilen. Sollte er sie erwischen, müßte er schnell handeln. Wenn möglich, würde er den Zwerg aus dem Hinterhalt erledigen, ohne ihm Zeit zu lassen, ihn mit einem Zauberspruch zu bannen oder die Maske anzulegen. Oder er würde einfach warmherzig lächelnd auf ihn zugehen und dem Zauberer den Schädel einschlagen, bevor der überhaupt reagieren könnte.
Wanderdrossel lächelte bei dieser Vorstellung.
Und dann werde ich alles besitzen - Einfluß, Ansehen, die Maske… und Sternmuschel.
Die Anhinga waren Experten im Alligatorfang. Auch Perle hatte schon zahlreiche dieser Tiere gefangen. Ihre Leute aßen das Fleisch, gerbten die Häute und ließen das Fett aus. Das mischten sie mit Pflanzen zu einer Salbe, die vor Moskitostichen schützte.
Die Anhinga fingen die Alligatoren oft lebend, zumindest die kleineren. Mit einem Riemen banden sie dem Tier die Schnauze zu, damit es nicht beißen konnte, und mit einer Leine schnürten sie ihm die Beine fest an den Bauch.
Jetzt konnte Perle sich gut vorstellen, was ein Alligator fühlte, denn die Khota hatten sie ebenso gefesselt. Inzwischen hatten die Khota auch den letzten Respekt vor ihr verloren. Aus einer Braut war eine Trophäe geworden. Allerdings achtete Grizzlyzahn darauf, daß keiner sie anrührte.
Großmutter, hast du geahnt, daß man mich so behandeln würde? Hättest du mich auch verkauft, wenn du gewußt hättest, daß sie mich zusammenbinden wie ein Stück Fleisch?
Trostlos starrte sie auf das Flußufer. Sie kannte den Preis für ihr Leben, sie hatte gesehen, wie der Gegenwert aus den Händen der Khota in die der Anhinga übergegangen war. Sie sah es vor sich, wie ihre Großmutter mit braunen Fingern über die kühle Oberfläche des Kupfers gestrichen hatte. Jedes Stück Metall, das sie bekommen hatten, bezahlte Perle mit Schmerzen und Not in einem fernen Land.
Diese Finger, die über das polierte Metall glitten, hätte genausogut Fetzen aus ihrer Seele reißen können.
Ich hasse euch… Ich spucke auf alles, was Anhinga heißt!
Sie würde nie mehr den Fluß betrachten können, ohne an diesen schändlichen Verrat zu denken.
Im Schatten der Bäume war der Boden weiß. Schnee war gefallen, der erste, den Perle in ihrem Leben sah.
Vor genau einem Jahr war sie um diese Zeit auf einem Hochseekanu weit draußen im Golf mit einigen ihrer Vetter
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