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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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mit wissenden Augen alles auf.
    Sternmuschels Seele schmerzte. Ihre Tochter hatte sie nie zuvor angelogen.
    Sie schloß die Augen.
    Oh, Bunte Krähe, meine Tochter darfst du nicht haben! Niemals!
    Silberwasser rollt sich unter ihren Decken zusammen, die kalten Hände zwischen die Knie gesteckt, und beobachtet das Bündel mit der Maske. Es liegt am Feuer und schimmert rot im Schein der Flammen. Auch Langer Mann beobachtet es. Kann er die Stimme hören? Sie ist sich nicht sicher. Er sieht aus, als lausche er angestrengt.
    Silberwasser befeuchtet ihre trockenen Lippen mit der Zunge und dreht sich lautlos, um über die Schulter zu schauen. Das Lager von Grüßt die Sonne ist noch leer. Grüßt die Sonne und ihre Mutter haben sich gestritten. Sie schläft unruhig hinter ihr, und Silberwasser ist froh, daß sie schläft. Ihrer Mutter würde es nicht gefallen, wenn sie wüßte, daß Silberwasser noch immer der Maske lauscht.
    Langer Mann lächelt Silberwasser an. In dem rötlichen Licht sieht er merkwürdig aus, unheimlich.
    Nur Silberwassers Augen sehen ihn. Ihre Seele aber ist weit weg… getragen von der Stimme, mit der die Maske spricht.
    Es ist ihre Stimme.
    Aber nicht ihre Stimme, so wie sie jetzt ist, sondern ihre Stimme Jahre später.
    Silberwasser ist fasziniert. Wie kann die Maske ihre Erwachsenenstimme in sich haben? Ihre Stimme kommt aus ihr. In der Maske sieht Silberwasser das Mondlicht und einen Mann, der in wirbelnden Nebeln tanzt. Es ist seltsam, zu wissen, daß sie eines Tages diese schwüle silberne Stimme haben wird.
    Langer Mann rollt sich schweigend auf die Seite und starrt sie an. Lautlos formt er die Worte: Was hörst du?
    Er weiß also nichts.
    Silberwasser tut, als verstünde sie ihn nicht.
    Er stützt sich auf einen Ellenbogen, beugt sich zu ihr und flüstert: »Was sagt dir die Maske?«
    Seine grauen Zöpfe baumeln wie Schlangen neben seinen welken Wangen. Als er die Maske anschaut, merkt sie, daß er sich wirklich fürchtet.
    Silberwasser flüstert: »Die Frau erzählt mir von dir. Von dem, was du getan hast.«
    Das Gesicht des alten Mannes verfällt. Die Frau? Seine Stimme bebt: Wer ist sie?
    Die Art, wie er das sagt, veranlaßt Silberwasser, sich die Decken fast übers Gesicht zu ziehen. »Du weißt es«, antwortet sie und beißt die Zähne fest zusammen.
    Langer Mann scheint schwach zu werden. Er liegt auf dem Rücken und starrt mit reglosem Gesicht zur Decke, seine Brust hebt und senkt sich sehr schnell.
    Silberwasser mustert das Bündel mit der Maske und denkt: Ich bin darin. Sie hat mich verschlungen.
    Und aus weiter Ferne kommt das Murmeln einer Männerstimme: Du siehst nicht aus wie eine Zauberin, Mädchen.
    »Ich bin keine Zauberin«, antwortet sie, aber niemand hört es, weil die Worte aus ihrer Seele kommen.
    Sie hat ihre Zähne noch immer zusammengebissen, und sie knirschen.
    Der Zwerg wendet sich von Silberwasser ab.
    Draußen rufen zwei Eulen. Es ist Paarungszeit. Flügel schwirren in der Dunkelheit, und Silberwasser setzt sich auf, um den Eulen zu lauschen. Sie hält den Atem an.
    Aufmerksam hört sie hinaus … verwundert.
    Schwarze Witwen fressen ihre Männchen. Das hat sie schon gesehen. Das Weibchen beißt dem viel kleineren Männchen den Kopf ab und verspeist dann langsam den restlichen Körper.
    Hat das die Maske auch mit ihr gemacht? Ihre Seele bei einem Paarungsritual verschlungen? Lebt deshalb ihre Erwachsenenstimme jetzt im Bauch der Maske?
    Silberwasser rutscht leise rückwärts, bis sie ihre Mutter berührt. Verschlafen streckt Sternmuschel eine Hand aus, legt sie auf Silberwassers Schulter und seufzt erleichtert.
    Das hatte ihren Vater verrückt gemacht; die eigene Stimme aus dem Mund der Maske zu hören. Er ertrug es nicht. Was er hörte, war die Stimme eines kleinen Jungen - und sie war immer zornig. Auch Silberwasser hörte sie zu ihm sprechen und schreien, klagend und fordernd.
    Diese Stimme brachte ihren Vater dazu, haltlos zu schluchzen. Und wenn er weinte, tat er Schlimmes, das anderen Menschen weh tat, das Silberwasser weh tat und das ihrer Mutter Schmerzen bereitete.
    Deshalb sprach sie nie mit dem kleinen Jungen, wenn er ihren Namen rief, immer wieder:
    »Silberwasser? Silberwasser?« Oh, wie sehr er gewünscht hatte, daß sie antwortete.
    Aber Silberwasser hatte den Jungen gehaßt.
    Sie hebt den Kopf, um noch einen Blick zur Maske zu werfen. Sanfte Winde wehen durch die Wand, streichen über die Kohlen, und rotes Licht kriecht langsam über den Boden, um das

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