Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
felsigen Grund gebrochen. Sternhimmelstadt hatte die Kontrolle über diese Feuersteinlager, und darauf beruhte auch ihr großer politischer Einfluß. Aus aller Welt kamen die Händler hierher, um sich die großen Knollen zu holen, mit denen sie flußauf- und flußabwärts Handel treiben konnten.
Der Legende zufolge, hatte Erster Mann gleich nach der Schöpfung mit einem gewaltigen Ungeheuer zu kämpfen. Er tötete das Untier mit einem Blitz, und aus dem Blut, das in den Boden rann, entstand der vielfarbige Feuerstein, der als heiliger Stein galt und deswegen nur bei besonderen Zeremonien verwendet wurde. Ein Mensch, der die Geisterwelt darum bat, durfte unter Umständen mit dem heiligen Feuerstein ein Stück Fleisch als Opfergabe abschneiden oder sich selbst ritzen, um sein Blut zu opfern. Man brachte Opfer für die sichere Heimkehr eines Verwandten oder lieben Freundes, für erfolgreiche Händlertätigkeit oder für die Heilung eines geliebten Menschen.
Krieger spalteten den Stein, um massive Speerspitzen zu gewinnen. Die Geheimgesellschaften machten daraus Werkzeuge, mit denen man Pfeifen, Atlatls oder Nachbildungen aus Glimmer schnitzen konnte. In der Töpfergesellschaft wurden mit Klingen aus Feuerstein Schmuckornamente in die Tongefäße eingeritzt.
Sternmuschel hörte ihren Vater kommen; seine Mokassins knirschten im Schnee, als er sich näherte und dann neben ihr stehenblieb.
Polierte Kupferohrspulen hingen in seinen Ohrläppchen, und durch die Kälte wirkte sein tätowiertes Gesicht faltig. Um die Schultern trug er eine gelb-schwarze Decke. Zum ersten Mal fiel Sternmuschel auf, daß seine einst so breiten Schultern eingesunken waren. Wann war er derart gealtert?
Aber schließlich war auch sie gealtert. Nicht so sehr körperlich, denn sie war noch jung, zweimal zehn und vier Jahre alt. Trotz der drei Kinder, die sie Glimmervogel geboren hatte, war sie immer noch eine Frau von legendärer Schönheit. Und körperlich war sie so widerstandsfähig wie eh und je. Nur ihre Seele hatte ihre Kraft verloren.
»Es ist fast vorüber«, sagte Höhlengräber, ihr Vater. »Wenn das letzte Feuer niedergebrannt ist, wollen wir die Asche einsammeln. Dann baue ich eine Grabstätte, und wenn ich tot bin, kannst du mich neben ihr beerdigen.«
»Sie fehlt mir.«
Er senkte den Kopf. »Nach all diesen vielen Wintern fällt es mir schwer, daran zu denken, daß sie fern von uns ist, trotz der kurzen Zeit, die mir noch bleibt.«
»Sprich nicht so, Vater. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß auch du mich bald verläßt.« Sie fröstelte. »Ich werde zu Mutters Beerdigung zurück sein. Für dich wird es schwer werden, besonders an den Tagen der Sonnenwende und der Tagundnachtgleiche. Ich werde dich nicht allein lassen.«
»Es ist ein langer Weg.« Er machte eine Pause. »Und was sagt dein Mann, wenn du bei den Feierlichkeiten auf den Sonnenhügeln nicht dabei bist? Du hast noch andere Verpflichtungen, Sternmuschel.«
»Er wird es verstehen.« Wie leicht ihr die Lüge von den Lippen ging…
»Wirklich?«
Sie zuckte mit den Achseln, wehrlos gegen seinen Blick.
Höhlengräber seufzte. »Es tut mir leid, meine Tochter. Ich hätte es aufhalten können. Hätte dich hierbehalten, dich mit einem anderen verheiraten sollen.«
»Nein, Vater. Er trägt die Maske, und wer die Maske trägt, dem kann man nichts verweigern. So war es schon bei seinem Großvater.«
Sie haßte diese Gedanken, die an ihr hafteten wie Pilze an einem modernden Baumstumpf. Sie hatte Angst vor Glimmervogel - eine große Angst, die ihre Seele lähmte.
In den letzten vier Jahren hatte er die Maske immer wieder benutzt. Er trug sie bei hitzigen Zusammenkünften des Clans - dann waren seine Gegner binnen Tagen tot. Spannungen zwischen den Mitgliedern des Stammes hatten viele entzweit. Einige hatten ihre Habe gepackt und waren weitergezogen, andere bewunderten ihn, waren voll Verehrung der Macht, die er ausstrahlte, und sie taten widerspruchslos, was er verlangte.
Seit Sternmuschels jüngste Tochter gestorben war, hatte sich ihr Verhältnis verschlechtert. Nicht nur wegen der Schläge, auch wegen anderer Vorfälle. Er bestand darauf, die Maske zu tragen, bevor er sich zu ihr legte. Er sagte, das gebe seinem Samen Kraft. Wenn er dann auf ihr lag, wurde die Maske neben ihnen abgelegt, damit sie zuschauen konnte.
Wenn sie sich dagegen auflehnte, machte er sie durch Schläge gefügig, bevor er ihre Beine auseinanderbog und sich in sie bohrte, was ihr große
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