Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Schmerzen verursachte. Bei seiner Ejakulation wurde ihr übel.
Muß ich jetzt daran denken? Sie rieb sich übers Gesicht, um ihren Kopf freizumachen.
Höhlengräber sagte nichts. Mit einem flüchtigen Blick nahm sie die scharfen Linien um seinen breiten Mund wahr. Sie kannte diesen Ausdruck tiefen Nachdenkens.
»Ich komme schon zurecht, Vater. Du bist es, um den ich …«
»Sternmuschel, ich möchte, daß du etwas für mich tust. Vor ein paar Tagen ist hier ein Ältester der Langschädel angekommen. Sein Name ist Langer Mann, manche nennen ihn auch den Zauberer. Ich möchte, daß du mit ihm sprichst.«
Sie schaute ihren Vater an. Wer hätte nicht schon vom Zauberer gehört? Überall kursierten Geschichten über den berühmtesten und mächtigsten Zwerg der Langschädel. Wenn ein Embryo im Mutterleib der Macht ausgesetzt wurde, kam er als Zwerg auf die Welt. Manche behaupteten, der Zauberer sei der Mächtigste von allen. Gerüchten zufolge konnte er sich in eine Eule oder eine Eidechse verwandeln. Andere wollten wissen, meist hinter vorgehaltener Hand, der Zauberer setze Schwarze Magie zum eigenen Vorteil ein. Geheimnisvolle Todesfälle ebenso wie wundersame Heilungen schrieb man seiner Macht zu. Auch wurde erzählt, daß Frauen seinen Annäherungsversuchen nicht widerstehen konnten. Mehr als ein wutentbrannter Ehemann sei auf mysteriöse Art ums Leben gekommen, als er für solche Behauptungen Genugtuung verlangte.
Höhlengräber legte seiner Tochter eine Hand auf den Rücken. »Er sagt, er sei gekommen, um dich zu treffen.«
Sternmuschel sah zur Seite. »Warum sollte ich mit dem Zauberer sprechen? Was will er von mir? Ich habe nichts getan.«
»Meine Tochter, die Langschädel wissen über die Maske Bescheid. Sie sind ein älteres Volk als wir.
Die Maske… einst gehörte sie ihnen. Langer Mann kennt die Legenden, und er kennt die Geschichte der Maske. Ich bitte dich, triff dich mit ihm.«
Seine Bitte war so dringlich, daß sie nickte. Hatte sie ihm nicht immer Folge geleistet? Die Kälte in ihrem Innern nahm zu. »Wenn ich mit dem Zauberer rede, wird Glimmervogel das erfahren. Die Maske wird es ihm verraten, und ich werde darunter leiden müssen.«
»Die Maske wird es nicht wissen.« Höhlengräber klang überzeugt. »Es gibt noch andere Kräfte in der Geisterwelt außer der Maske.« Er zögerte. »Der Zauberer kam am Todestag deiner Mutter hier an.
Seitdem wartet er.«
Furcht erfüllte Sternmuschel, als hätte sie gerade einen finsteren Waldpfad betreten. Einen Pfad voller Bedrohungen. »Ich rede mit ihm, Vater. Aber es wird nichts Gutes daraus entstehen.«
»Das kannst du nicht wissen. Geh heute nacht zu Langer Mann. Morgen holen wir Mutters Asche, und du kannst fortgehen. Deine Brüder werden dich die Heilige Straße hinab begleiten, bis zu den Sonnenhügeln und dem Mondmuscheltal.«
Sie folgte ihm dicht auf dem schlüpfrigen Pfad. Wo so viele Mokassins hingetreten waren, war der Schnee zu ungleichmäßigen Eishöckern zusammengedrückt worden.
Früher einmal hatte dieses Land den Langschädeln gehört. Sie hatten hier den ersten Heiligen Ring errichtet und ihre Toten in den konischen Hügeln beigesetzt. Von diesem fruchtbaren Überschwemmungsgebiet, in dem sich der Flughörnchen- und der Entenfluß vereinigen, hatten sie den Lauf der Sterne aufgezeichnet und ihre Händler in die ganze Welt geschickt.
Den Sagen zufolge waren drei Clans von den Hügeln gekommen und hatten sich verbündet, um die Langschädel aus dem Tal zu vertreiben. Sie übernahmen die Kontrolle über die Feuersteinbrüche.
Großer Stern, der legendäre Führer, hatte einen Frieden geschmiedet. Danach heirateten Angehörige der Langschädel und der Plattformpfeifen untereinander, lebten zusammen, benutzten gemeinsam die heiligen Stätten, und allmählich wuchs das Volk zusammen. Wörter aus beiden Sprachen vermischten sich, so wie auch ihre Legenden und die Blutlinien.
Langer Mann - der Zauberer - wollte sie sehen? Ich habe nichts Böses getan.
Sternmuschel zuckte zusammen. Hatte sie nicht schon genug Ängste auszustehen? Das Leben mit ihrem Mann war zu einem Alptraum geworden, aus dem es kein Erwachen gab. Im Dunkel der Nacht fühlte sie, wie seine Macht sie umwallte. Nachts warf er sich herum wie ein Besessener, von Träumen gepeinigt, die sie nur ahnen konnte. Wenn er wach war, neigte er oft seinen Kopf zur Seite, als horche er auf irgend etwas. Und beim geringsten Anlaß bekam er Wutanfälle.
Als er vom Tod ihrer Mutter
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