Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
aushalte. Ich sitze aufrecht in meine Decken gehüllt, stöhnend vor Schmerzen… -plötzlich sind die Schmerzen vergangen. Es wollte mich wecken. Warum?
Ich schaue in den leuchtenden Nachthimmel. Tausende von Sternenleuten schauen blinkend auf mich herab.
Stimmen hallen schwach in meinem Kopf wider. Geister. Nur Geister schreien so laut.
Die Stimmen werden deutlicher. Im Prasseln des Feuers höre ich Entsetzensschreie.
Dieser junge Narr muß wieder die Maske aufhaben. Sonst könnte ich die Stimmen der Geister aus dieser Entfernung nicht hören.
Ich schüttle den Kopf, lege mich wieder hin und ziehe die Decke hoch. Es gibt nichts Schlimmeres als eine zornige Horde Toter, die hebenden quält und von ihnen verlangt zuzuhören.
Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen.
Der Sturm, der sich schon seit Tagen ankündigt hatte, entlud sich endlich über Sternmuschel und Langer Mann. Sie hatten das Haus des Salamanderclans verlassen, wo sie die Nacht verbracht hatten, waren aber nur wenig vorangekommen, als sich plötzlich der trübe Himmel öffnete und die Erde mit Schnee überschüttete.
So gingen sie von der Heiligen Straße direkt zum Territorium des Blauentenclans. Sie kämpften sich durch knietiefen Schnee und erreichten den Erddamm, der das Gebiet des Clans begrenzte.
Sternmuschel sang die rituelle Begrüßung der Geister, die den Ort bewohnten. War es nur der Sturm, den sie spürte, oder war es die Mißbilligung der Geister? In dichtem Gestöber fiel der Schnee vom Himmel und deckte die Erde wie mit einem Leichentuch zu. Das Beinhaus war kaum zu erkennen, der Grabhügel nur noch ein formloses Gebilde.
Sternmuschel ging voran, aber ihre Beine versagten fast den Dienst. Vor dem Türvorhang des Clanhauses blieb sie stehen. »Ich grüße euch!« rief Sternmuschel, zitternd vor Kälte.
Jemand steckte den Kopf zur Türöffnung heraus: »Wer ist da?«
»Sternmuschel vom Leuchtvogelclan von den Sonnenhügeln und Langer Mann, Ältester der Langschädel. Wir bitten um die Erlaubnis einzutreten.«
Zu Sternmuschels Überraschung verschwand der Kopf wieder. »Es schneit«, rief sie, und an Langer Mann gewandt sagte sie: »Vielleicht besprechen sie gerade Clangeschäfte.«
Der Zwerg schwieg. Mit dem dicken Schnee auf seiner Decke sah er aus wie ein Baumstumpf.
Ein korpulenter Mann duckte sich durch den Türvorhang aus Hirschfell nach draußen. »Sternmuschel?
Was bringt dich her? Was willst du?«
Die eisige Begrüßung brachte Sternmuschel aus der Fassung. »Wir können nicht weitermarschieren, es schneit zu stark.« Sie blinzelte durch die fallenden Schneeflocken. »Wanderdrossel? Was ist hier los?«
Er sah sie aus schmalen Augenschlitzen feindselig an.
»Hat dich Glimmervogel geschickt?«
»Nein. Ich war fort… in Sternhimmelstadt. Meine Mutter ist gestorben, und ich mußte der Zeremonie beiwohnen. Verhandelt ihr gerade über Angelegenheiten des Clans? Sind wir zu einer ungünstigen Zeit gekommen?«
Er beobachtete sie in eisigem Schweigen.
Langer Mann meldete sich nun zu Wort: »Ich glaube auch, wir sind zu einer schlechten Zeit gekommen.« Er trat vor. »Wanderdrossel vom Blauentenclan, ich bin Langer Mann, ein Ältester des Langschädelvolks. Was ist geschehen? Warum tust du so, als brächten wir Unheil, anstatt uns müde, frierende Reisende willkommen zu heißen und uns ein wärmendes Feuer und ein Obdach vor dem Sturm zu bieten?«
»Verzeih mir, Ältester. Ich hatte dich nicht erkannt. Der Blauentenclan heißt dich auf das herzlichste willkommen!«
»Ich danke Wanderdrossel für die freundlichen Worte und dem Clan für seinen Willkommensgruß.«
Wanderdrossel schaute auf Sternmuschel. »Aber du, Frau, bist nicht willkommen. Der Älteste weiß vielleicht gar nicht, mit wem er unterwegs ist.«
»Was ist geschehen?« fragte Sternmuschel.
»Wie lange bist du fort gewesen?«
»Länger als einen Mond.« Sie erstarrte. »Geht es um Glimmervogel ? Hat er etwas getan ? Er… oder die Maske?«
Wanderdrossel zögerte. »Du bist seine Frau. Von seinem Clan. Du bist nicht mit uns befreundet.
Verlasse diesen Ort!« Er schaute Langer Mann an. »Verehrter Ältester, tritt bitte ein und setze dich an unser Feuer. Wir haben von dem großen Zauberer gehört.« Er machte eine Pause und schaute Sternmuschel an. »Obwohl du dich in bedenklicher Gesellschaft befindest.«
»Einen Augenblick!« Langer Mann hob seine vor Kälte zitternde Hand. »Sag uns, was passiert ist.
Sternmuschel ist dir nicht feindlich
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