Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Titel: Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
schluckte und spähte zum Horizont. Dicke Wolken hatten das Blau aufgesogen und an seiner Stelle eine trübe graue Decke zurückgelassen. Der Wind brachte den Geruch der Meerfrau mit.
    Tauchvogel war jetzt einen halben Mond im Dorf des Stehenden Horns, verstand es aber immer noch nicht. Der Durchschnittsmensch hier fürchtete Kupferkopf und sah den Mann oft an, als wäre er eine hassenswerte Kreatur, gerade den dunkelsten Tiefen des Ozeans entstiegen. Aber die Ältesten hingen jetzt und hier an seinen Lippen. Das verlieh Kupferkopf seine Macht. Die Ältesten betrachteten ihn, als wäre er Bruder Erde oder Schwester Mond ebenbürtig, und ihre Familien und Freunde würden nie Schande über sie bringen, indem sie etwas anderes behaupteten. Aber wie konnte Kupferkopf diese weisen Alten derart zum Narren halten?
    Tauchvogel betrachtete die Gruppe. Kupferkopf hatte die beiden ganz vorn mit ihrem Namen angeredet. Der Mann mit den langen Haar, das ihm wie erfrorenes Unkraut über die Schulter hing, war Korbmacher. Die alte Frau neben ihm mit dem kurzen Silberzopf und der Knollennase war Erle.
    »Wir sind alle verwundet«, ließ Kupferkopf seine tiefe Stimme über die Versammlung tönen. Gegen den schieferfarbenen Himmel wirkte er sehr groß und muskulös. Er hatte sein Haar zu einem Knoten zurückgebunden, wodurch seine silbernen Schläfen noch auffallender wurden. »Das Verwundet sein ist das wesentliche Kennzeichen des Menschen. Die Qual ist es, die uns miteinander verbindet. Nicht die Freude.«
    »Ja, so ist es«, bestätigte Erle, heftig nickend.
    Tauchvogel runzelte die Stirn. Was hatte das zu bedeuten? Doch seltsamerweise war etwas dran. Die Wunden, die ein anderer hatte, brachten ihn Tauchvogel viel näher als seine Erscheinung, sein Humor oder sein Glücklichsein. Tatsächlich interessierten ihn schöne, witzige Frauen, die dauernd lächelten, überhaupt nicht. Hatten ihn nie angezogen. Aber eine schöne Frau mit traurigen Augen, das war etwas anderes.
    »Die Augen anderer Menschen sind der Spiegel des Verwundet seins. Wie spiegelnde Muschelschalen. Wir sehen unsere Schmerzen und unser Leid darin widergespiegelt, und das zieht uns an wie Brunftgeruch. Machtvoll. Unwiderstehlich. Dieses geteilte Verwundet sein nennen wir Liebe.
    Wenn wir unsere Augen nur lange genug zumachten«, er schloss seine Augen und reckte sein Kinn zum wolkenbedeckten Himmel, »dann könnten wir uns von dieser magischen Widerspiegelung lösen und endlich geheilt sein. Nur wenn wir im Dunkel ganz allein und entspannt sind, ist Erlösung möglich.«
    Als hätten seine Worte den Himmel zu Tränen gerührt, fiel jetzt ein feiner Nieselregen, und die Tropfen hingen wie Perlen im ergrauenden schwarzen Haar von Kupferkopf. Der Meerwind fuhr herein, und die Ältesten zogen sich ihre Decken über den Kopf.
    Eine leise Unterhaltung setzte ein.
    Erle und Korbmacher beugten sich seitwärts und flüsterten miteinander. Sie lächelten und blickten wieder zu Kupferkopf. Er schaute mit solch inniger Liebe auf sie herab, als wollte er mit seiner Wärme die Kälte vertreiben. Tauchvogel bekam eine Gänsehaut. Alle Ältesten lächelten und murmelten zustimmend.
    »Ja«, fuhr Kupferkopf fort. »Wir verbringen unser ganzes Leben damit, in den Augen der anderen Erlösung zu finden. Aber dort kann man sie nicht finden. Wir müssen die Widerspiegelung, die wir in den Augen unserer Geliebten sehen, willentlich verdrängen und in der Tiefe unseres eigenen Verwundet seins Ruhe finden. Dann werden uns die Blitzvögel aufspüren.«
    Korbmacher flüsterte: »Wir müssen tapfer sein und allein in das schreckliche Dunkel gehen - sonst werden diese Wunden niemals vom Blitz ausgebrannt.«
    Kupferkopf nickte. »So ist es. Wir müssen in die Einsamkeit gehen und in die Dunkelheit. Ohne Furcht, denn eines Tages, und zwar bald, werden die Blitzvögel nach uns suchen. Dann müssen wir bereit sein. Wenn sie herabstoßen, muss jeder von uns in seinem eigenen Verwundet sein verharren, in dunkler Einsamkeit, und sie erwarten.« Er hob die Hände zum Regenhimmel.
    Als er die Hände wieder fallen ließ und den Kopf senkte, betrachteten die Ältesten das offenbar als Zeichen; sie standen auf, nahmen ruhig ihre Matten und gingen weg, noch voller Ergriffenheit miteinander murmelnd. Erle und Korbmacher warteten, bis die anderen verschwunden waren, und gingen dann zu Kupferkopf, mit dem sie leise sprachen; sie berührten ihn zärtlich an den Schultern und priesen ihn. Bei der ehrfürchtigen

Weitere Kostenlose Bücher