Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
herzubringen. Er hatte sich ein Hemd übergeworfen, einige Medizinsachen zusammengerafft und war über die Plaza gelaufen. Zehn Sklaven in abgerissenen braunen Gewändern saßen auf dem Boden im Kreis um Kriecher und Trauertaube herum und sahen schweigend zu. Neben ihren Schlafmatten lagen ein paar kleine Säcke, die ihre ärmliche Habe enthielten. In der Wandhalterung zischte eine einzelne Zedernrindenfackel, und ihr Licht überzog die beunruhigten Gesichter mit einem rötlichen Schein, der ihre zusammengezogenen Brauen und den Grimm ihrer Gesichter hervorhob. Lerche, ein alter Mann, verbarg das Gesicht in den Händen.
    Schwalbenschwanz saß links von Kriecher, die Knie an die Brust gezogen, und wiegte sich hin und her wie ein verwundetes Tier. Das Gesicht des großen Jungen glich einer holzgeschnitzten Maske, aber seine Blicke, starr auf die Verwundungen seiner Mutter gerichtet, waren wie Dolche. Kriecher mußte dauernd zu ihm hinschauen. Er konnte sehen, wie der Haß in dem Jungen wuchs, wie er zunahm, bis er ihn fast verzehrte.
    »Du bist jetzt in Sicherheit, Trauertaube.« Kriecher strich einen Malvenbalsam sanft über die Verbrennungen auf dem Rücken. Die faustgroßen Blasen schwitzten Flüssigkeit aus. Er mußte sich bezwingen, um seine Hände ruhig zu halten. Wut durchfuhr seinen ganzen Körper. Schlangenhaupt wird immer unberechenbarer und arroganter. Um des Volks des Rechten Weges willen sollte jemand ihn…
    Trauertaube zuckte zusammen, als Kriecher etwas zu fest rieb. »Tut mir leid! Tut mir leid, Trauertaube.« Er tätschelte ihre Schulter.
    Sie ließ den Kopf hängen und seufzte. »Schon gut. Danke.«
    Kriecher behandelte jede Blase, jede Wunde mit größter Behutsamkeit. Die Gesichter ringsum drückten Verdrossenheit aus; die Leute hatten resigniert. Sie waren Sklaven. Sie wußten, wie sinnlos es war, gegen Brutalität zu protestieren. Kriecher wußte das auch als einer der Gemachten Menschen niederen Ranges. Er würde den Vorfall bei der nächsten Ratsversammlung vor den Ältesten der Ersten Menschen vorbringen, aber es würde nichts nutzen. Vielleicht tadelte jemand Schlangenhaupt oder erwähnte beiläufig, er hätte Trauertaube nicht verletzen dürfen. Darüber würde Schlangenhaupt nur lachen - das hatte Kriecher schon erlebt. Viele Male.
    Schwalbenschwanz lehnte sich an die weiße Wand und schloß gefaßt die Augen; er hatte offenbar seine Beherrschung wiedergewonnen. Sein Gesicht zeigte keine Bewegung. Dann sah Kriecher seine Arme. Die knotigen Muskeln zuckten und spannten sich unter seinem braunen Hemd, als träume er davon, wie er jemanden mit bloßen Händen zu Tode prügelte.
    Kriecher nickte, seine eigene Empörung wuchs. Er strich noch mehr Balsam auf eine besonders böse Stelle, wo die Blase aufgeplatzt war und das rohe Fleisch sehen ließ.
    Trauertaube knirschte mit den Zähnen und ächzte.
    »Tut mir leid«, wiederholte Kriecher. »Hab ich dir wieder weh getan ?«
    »O Kriecher«, flüsterte sie heiser, »warum hat er mir das angetan?
    Ich weiß, irgend etwas hat ihn aufgebracht. Aber ich habe nichts Böses getan! Das schwöre ich! Ich habe jedem Befehl gehorcht, ich …«
    »Das hat er getan«, sagte Kriecher mit bebender Stimme und ballte die Fäuste, um sich wieder in die Gewalt zu bekommen, »weil er einer der Ersten Menschen ist und es tun kann!«

    Als die Feuer niederbrannten und der Umhang der Nacht sich um die Hügel schloß, kroch Distel aus dem Dickicht und schaute bebend zu Lanzenblattdorf hoch.
    Schwarzer Rauch stieg kräuselnd in die Höhe. Der Windjunge zog ihn über die Wüste, dünnte ihn aus und verknotete ihn wie ein langes Tau. Der Gestank von verbranntem Pech stach ihr in die Nase. Geräuschlos wie der Schatten des Falken machte sie drei Schritte den Hügel hinauf, hielt inne, spähend und lauschend, bevor sie wieder drei Schritte machte. Sie wagte es nicht, auf ihre Füße hinunterzusehen, sie hatte nur Augen für die dunklen Umrisse, die sie umgaben -Büsche, Felsbrocken, Wacholderbäume. Der Feigenkaktus stach ihr durch die Mokassins in die Füße. Das Blut wärmte ihre kalten Zehen. Und die ganze Zeit trommelte ihr Herz vor Furcht. Palmlilie? Dann und wann brach und zischte schwelendes Holz, doch sonst umfing Stille die Hügel wie in einer erstickenden Umarmung. Distel kletterte zu der verkohlten Hülle ihres Hauses; die Kehle war ihr zugeschnürt. »Heilige Götter …«, flüsterte sie.
    Eine Bewegung in den geschwärzten Resten des Dorfes weiter unten erregte

Weitere Kostenlose Bücher