Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
wirklich keine Ahnung, wer der Vater meines elenden Halbbruders ist?«
»Keine Ahnung.«
Ein spöttisches, unheilverkündendes Lächeln kräuselte Schlangenhaupts Lippen. »Das ist alles, was ich dir zu sagen habe, Eisenholz. Jedenfalls im Augenblick.« Er ging zu seiner Platte zurück und nahm sich einen kalten Maiskuchen. »Du kannst gehen.«
»Dein neuer Kriegshäuptling wird dafür sorgen, daß das Kind getötet wird. Dann hast du deine Pflicht gegenüber deinem Vater erfüllt. Wozu dann noch deine Mutter gefangenhalten? Das facht doch nur den Zorn -«
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun, ehemaliger Kriegshäuptling? Soll ich sie laufenlassen? Sie hat meinen Vater betrogen.«
Eisenholz ballte die Fäuste und schritt auf Schlangenhaupt zu. Wut stieg in ihm hoch. In Schlangenhaupts Augen blitzte Angst auf. Aber er faßte sich schnell. Der neue Häuptling reckte hochmütig sein Kinn.
Eisenholz sagte: »Sollte das wahr sein, Schlangenhaupt, dann ist es jetzt deine Pflicht, über ihr Schicksal rasch zu entscheiden. Um deines Volkes willen. Schick sie in die Verbannung oder töte sie. Aber bring es hinter dich!«
Ein böses Glitzern stand in Schlangenhaupts dunklen Augen. Er biß in seinen Maiskuchen und kaute, und dabei schaute er forschend in Eisenholz' Gesicht. Auf der Suche nach … was?
»Ich werde sie wohl töten«, verkündete er kühl. Krumen klebten ihm an den Lippen. »Ja, damit wäre das Problem gelöst.«
»Also, dann tu es!«
Schlangenhaupt hielt Eisenholz' wildem Blick eine ganze Weile stand. »Ich habe dir nie vertraut, Eisenholz. Weder dir noch deinem Urteil.«
»Sehr bedauerlich. Dein Vater hat mir vertraut.«
»Ja, ich weiß.« Er lachte leise. »Aber er hat natürlich nie gewußt, wie zugetan dir meine Mutter war.« Eisenholz krampfte sich der Magen zusammen. »Willst du damit sagen -«
»Ich will sagen, sie war dir einmal sehr zugetan«, antwortete Schlangenhaupt mit vollem Mund. »Das ist alles.« Er aß den Maiskuchen auf und wischte lila Krumen von der Hand auf den Boden. »Schlangenhaupt -«
»Ich bin fertig mit dir. Ich bin die Gesegnete Sonne. Geh jetzt! Oder soll ich die Wache rufen, damit sie dich hinausweist?«
Schlangenhaupt drehte ihm den Rücken zu und ging zum Vogelkäfig. Er redete sanft mit dem Vogel, der ihm mit einem tiefen feindseligen Gekeife antwortete.
Eisenholz ging geduckt hinaus in die kalte Nachtluft und überquerte mit großen Schritten das Dach des vierten Stockwerks, die Zähne fest zusammengebissen; seine Sandalen kratzten über den Bodenputz. Seine Fäuste öffneten und schlössen sich beim Gehen.
Wieviel konnte er wissen? Nichts… überhaupt nichts. Er bluffte, warf Köder aus, spielte mit den Menschen, um zu sehen, ob er ihnen etwas entlocken konnte.
Er kletterte die Leiter zum vierten Stock hinab und ging wachsam zu den Kammern von Nordlicht. Seine Nerven prickelten, als befände er sich auf einem Bergkamm, bevor der Blitz einschlägt. Geduckt trat er ein. Nordlicht schürte die Glut in seiner Wärmeschale und schaute auf. Ein weißes Hemd lag über seine Füße gebreitet. Krähenfüße hatten sich um seine müden braunen Augen gegraben; das lose schwarze Haar bedeckte die eingezogenen Schultern. Die Wände waren mit Thlatsinas bemalt, und eine der schönen Masken - der Dachs-Thlatsina mit seinen Rabenfedern - hing über Nordlichts Lager, als ob er wohlwollend auf ihn herabblicken wollte. Körbe und herrlich bemalte Töpfe standen nebeneinander an einer Wand. Über ihm hingen heilige Kräuter von den Dachstangen, jetzt eingehüllt in den herben Geruch des Zedernrauchs. »Nun?« fragte Nordlicht leise. »Weiß er Bescheid?«
»Über das Kind? Nein, ich glaube nicht.«
Nordlicht kam langsam auf die Beine. Er kannte Eisenholz viel zu lange, um nicht das Unausgesprochene zu hören. Er runzelte die Stirn. »Aber er weiß … von etwas anderem?« Eisenholz stieß heftig die Luft aus. »Vielleicht von seiner Mutter und mir.«
Nordlichts Gesichtsmuskeln erschlafften. »Ihr heiligen Thlatsinas, dann könnte er auch den Rest erraten.«
»Er hat mich in seine Wärmeschale gestoßen!« Trauertaube schaute über ihre nackte Schulter auf Kriecher; feuchtes schwarzes Haar umrahmte ihr rundes Gesicht. »Er war wie einer von den Wilden, hat mit Sachen um sich geworfen, gebrüllt, mich geschlagen!«
Nachdem Schlangenhaupt sie entlassen hatte, war sie sofort zum Posten gelaufen, der die Sklavenquartiere bewachte, und hatte ihn gebeten, Kriecher
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