Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Überraschung flatterten ihre Lider. In den letzten drei Tagen war sie mehrmals erwacht, dann aber sofort wieder eingeschlafen. Ihr Gesicht war noch geschwollen, mit häßlichen Blutergüssen. Eine ganze Weile starrte sie neugierig zum Himmel empor, offenbar unsicher, wo sie sich befand. Dann drehte sie sich zur Seite und sah Eisenholz an.
»Was -«
»Pst!« flüsterte er. »Die Wachen haben mir verboten, mit irgend jemandem zu sprechen. Wenn sie uns hören, werde ich bestraft. Sprich sehr leise und sieh mich dabei nicht an. Blick auf irgendwen oder irgendwas sonst.«
Maisfaser schluckte und ließ ihren Blick zu Distel wandern, die sich mit Eichelhäher unterhielt. Der ältliche Mogollon-Häuptling sah so struppig und müde aus, wie Eisenholz sich fühlte. Sein verschmutztes Hemd hing in Fetzen herab, sein graues Haar und das schmale Gesicht waren mit roter Erde verschmiert. Er war vier Hände größer als Distel, sie mußte den Kopf zurücknehmen, um ihm in die Augen zu schauen.
Maisfaser seufzte tief, als täte der Anblick ihrer »Mutter« ihrer Seele wohl. Sie fragte flüsternd: »Was ist geschehen?«
Eisenholz beobachtete Schwalbenschwanz, der ums Lager strich. Seit mehr als einer Zeithand hatte der Jüngling Maisfaser umkreist, so nahe, wie es sein Mut zuließ, und versucht, einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen. Eisenholz wußte nicht, warum. Vielleicht wollte Schwalbenschwanz sich auch nur vergewissern, daß sie wohlauf war, schließlich war Maisfaser immer freundlich zu ihm gewesen. Eisenholz murmelte: »Eine lange Geschichte, meine Tochter. Jemand hat dich ins Gesicht geschossen. Wir haben den Pfeil entfernt, und dann wurde Krallenstadt überfallen. Distel führte Eichelhäher und seine Krieger zur Plaza. Viele Menschen wurden getötet, es ging alles sehr schnell. Wir wurden gefangengenommen. Eichelhäher hat dich geschont, weil er glaubt, daß du seine Enkelin bist.« Maisfasers wandte sich ihm mit fragendem Blick blitzschnell zu und schaute dann wieder zu Distel. »Aber das bin ich doch nicht. Oder?«
»Nein. Aber Distel hat nie genau gewußt, wer deine Eltern sind. Ich wollte das so haben - um dich zu schützen, Maisfaser. Sie muß geahnt haben, daß ich dein Vater bin, und hat vermutet, deine Mutter wäre die Sklavin Rehkitz gewesen, und die war Eichelhähers Tochter.«
Maisfaser bedachte das. »Und was macht er, wenn er entdeckt, daß ich nicht seine Enkelin bin?« »Du bist in Sicherheit. Dafür wird Distel sorgen. Sie liebt dich sehr, und Eichelhäher wird ihr jeden Wunsch erfüllen. Distel hat ihm zum größten Raubzug seines Lebens verholfen. Er weiß, wieviel er ihr schuldet.«
Maisfasers Blick glitt zu Sängerling. Der hochgewachsene, hagere Jüngling schnarchte leise. Verschmutztes schwarzes Haar hing ihm über die Schulter. Furcht verdüsterte ihr Gesicht. »Und was geschieht mit Sängerling und euch andern? Wenn meine Mutter darum bittet, wird man euch dann auch alle gehen lassen?«
»Ich weiß es nicht. Ganz sicher will er mich tot sehen.«
»Tot?« fragte Maisfaser schwach. »Warum?«
Eine der Wachen legte den Kopf schräg und spähte argwöhnisch auf Eisenholz. Eisenholz rutschte herum, verschränkte die Hände auf dem Rücken, lehnte sich zurück und starrte zum Himmel empor, wo die Sterne zwischen schwärzlichen Wolkenfetzen hindurch flimmerten. Die Wache beobachtete ihn noch eine Weile, wandte sich dann ab und schnüffelte in Richtung Kaninchenbraten. Sehr leise antwortete Eisenholz: »Eichelhäher hat allen Grund dazu.«
Als sie daraufhin nichts sagte, blickte Eisenholz zu ihr hin. Tränen rannen ihr in Streifen über die Prellungen ihres verschmutzten Gesichts. Sein Herz schmolz. »Bedaure mich nicht, Maisfaser. Im Gegensatz zu den meisten Männern habe ich die Erfüllung meiner größten Sehnsucht erlebt; ich habe sehen dürfen, wie meine geliebte Tochter zur Frau heranwuchs. Ich habe ein erfülltes Leben gehabt, und meistens war ich glücklich.«
»Aber da muß es etwas geben -«
»Ich glaube, unsere Zeit ist abgelaufen«, sagte Eisenholz, der Distel mit zwei Kriegern an ihrer Seite durch das Lager herankommen sah. »Ich werde versuchen, morgen weiter mit dir zu sprechen.« Distel rief: »Maisfaser? Bist du wach?« Ängstlich kam sie näher.
Die beiden Posten legten Pfeile ein und zielten auf Eisenholz' Brust. Er saß friedlich und ungerührt da; Distel kniete sich neben Maisfaser und strich ihr das verschmutzte Haar aus dem verletzten Gesicht. »O meine Tochter«,
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