Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
doch hoffentlich keine Sorgen gemacht.« Er nahm die Decke ab und faltete sie gelassen zusammen. »Wie geht es Maisfaser?«
Distel sah ihn an und wußte, daß er Zeit gewinnen wollte. Es ist schlimmer, als ich dachte. »Sie ist noch schwach, aber ihr Husten ist weg.« »Und Vogelkind?«
Distel kniete neben dem fünfzehn Sommer alten Jungen und zog ihm liebevoll die Decke über den bloßen Rücken. Das lange Haar fiel ihr über die Schultern und verdeckte ihren angespannten Gesichtsausdruck. »Er hat mich lange ausgefragt, wohin du gegangen wärst und was für Nachrichten die Läufer gebracht hätten. Er…«
Ihre Hände fingen an zu zittern. Sie ballte sie zu Fäusten und stand auf. Dann stellte sie sich ihrem Mann genau gegenüber. »Erzähl! Was haben sie gesagt?«
Die finsteren Läufer waren bei Sonnenuntergang eingetroffen, schweißgebadet. Sie waren drei Tage lang ohne Pause gelaufen, ohne Essen, ohne Schlaf. Sofort waren sie zur Ehrwürdigen Mutter des Clans gegangen, gewillt, mit Palmlilie und Distel zu sprechen, denn sie hätten eine dringende Botschaft von Eisenholz, dem großen Kriegshäuptling von Krallenstadt.
Zu Tode erschrocken hatte Distel sich geweigert, das Haus zu verlassen, unter dem Vorwand, ihre Tochter sei krank, und sie hatte ihrem Mann geraten, dasselbe zu tun. Aber er hatte nicht auf sie geachtet, der Gesegneten Sonne und seinem verehrten Hauptmann noch genauso ergeben wie vor sechzehn Sommern.
Palmlilie ging zu den Schlafmatten aus Weidengeflecht und legte die gefaltete Decke obendrauf. Den breiten Rücken zu ihr, murmelte er: »Sie sagen, Krähenbart stirbt.«
»Sind sie sicher? Aber wie können sie das sein, nachdem «
»Bitte.« Palmlilie drehte sich um, und sie sah die Trauer in seinen Augen. »Setzen wir uns, wir wollen das in aller Ruhe besprechen.« Er deutete auf die Matten, die um das Feuer herum lagen. Distel warf einen ängstlichen Blick auf die Kinder, folgte ihm aber. Auf unsicheren Beinen ließ sie sich auf die südliche Matte gegenüber der Tür nieder und zog die Knie an, die sie mit beiden Armen umfaßte. »Glaubst du es?«
Palmlilie kniete auf der nördlichen Matte, ihr gegenüber. Der goldene Schein des Feuers gab seinem Hemd einen seltsamen Ocker-Ton. »Verhüllt-Seinen-Schwanz hat es mir selbst gesagt. Er ist der Stellvertreter des Kriegshäuptlings und sein bester Freund. Er ist an die Wahrheit gebunden, er würde nicht lügen, genausowenig wie ich, als ich noch der Stellvertreter des Häuptlings war. Distel! Die Gesegnete Sonne hat fast fünfundfünfzig Sommer gesehen. Wenn man seine Schwächlichkeit bedenkt und die vielen Krankheiten, die er erleiden mußte, dann war Spinnenfrau noch sehr großmütig, ihm so viele zu schenken. Ich bete, daß sie -«
»Und was wird aus uns?« Die Verzweiflung in ihrer Stimme überraschte sie selbst. Etwas ruhiger fragte sie: »Aus unserer Familie? Er darf nicht sterben. Noch nicht. Und wie oft hat man uns schon seinen Tod angekündigt? Mindestens fünfmal. Nein, ich glaube es nicht.«
Palmlilie rutschte unbehaglich hin und her, und sein Schatten hüpfte über die Wand hinter ihm wie ein stummer tanzender Geist. Die Falten in seinem Gesicht wurden schärfer.« Ich gebe zu, es wäre auch denkbar, daß Krähenbart vielleicht nur wieder einen Seelenausflug ins Jenseits macht, aber das glaube ich nicht.« Er rieb sich die Hände, um sie zu wärmen. »Aber wir werden es jedenfalls bald wissen. Nordlicht will seinen Körper auf die große Trommel in der Kiva der Ersten Menschen legen und Sklaven anweisen, über ihn zu wachen.« Distel schloß die Augen. »Wenn Hauptmann Eisenholz ihm nicht vorher die Kehle durchschneidet, um sicherzugehen. Er haßt Krähenbart. Der Mann ist -« »Pst!« Palmlilie sah sich ängstlich um. »Du weißt, der Windjunge ist sein Geisthelfer und berichtet Eisenholz jedes Wort, das er gehört hat.«
Distel sprang auf und lief zur Tür, um in die Dämmerung hinauszusehen. Ein schwacher lavendelfarbiger Glanz lag über dem bergigen östlichen Horizont, drängte das Indigo der Nacht zurück und schuf Platz für die Wiedergeburt von Vater Sonne. Von diesem Hang oberhalb von Lanzenblattdorf aus konnte sie die weite Plaza und fast das ganze Tal überblicken. Innerhalb des schützenden Rechtecks des Dorfs war die Plaza grau und still.
Mit großen Augen betrachtete sie die Wüstenpflanzen. Kein Hauch bewegte den Beifuß. Sie ließ den Vorhang wieder fallen. »Ich glaube, wir sind sicher.«
Sie ging zu ihrem Mann
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