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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Sängerling! Sängerling. Heilige Götter, nur ein Idiot würde jemanden mit so einem Namen anstellen, um etwas Großes zu bewirken. Und das heißt, daß ich verhungern werde oder mich der Gnade meiner Familie ausliefern muß. Keine Frau wird mich heiraten. Ich werde nie Kinder haben. Wolf, hilf mir! Ich bin verflucht!
    Verärgert schwang er seine Decke heftig über die Schultern und ging zur Tür.
    »Nein«, sagte Düne. »Die Decke laß hier.«
    Sängerling warf sie ab, ging geduckt durch die Tür in den frostigen Morgen. Der Abhang türmte sich zweihundert Handlängen hoch über dem Häuschen und warf einen langen kalten Schatten. Hinter dem Höhenzug leuchtete Bruder Himmel in tiefem, durchscheinendem Blau. Zwei Raben kreisten flügelschlagend auf der Strömung der Winde. Sängerling rieb sich die frierenden Arme. Und wartete. Als der heilige Alte nicht herauskam, brüllte Sängerling: »Düne? Ich friere hier draußen. Wo bist du?« »Hier drinnen … Ich sitze am Feuer und trinke warmen Tee.« »Ich dachte, du willst rauskommen.« »Ich werde schon kommen.« »Wann denn?«
    »Für einen Sängerling immer noch früh genug.« Verdrossen blickte dieser zum Himmel. Die ziehenden Wolkenfetzen färbten sich hochrot. Die längliche Mesa, die sich um Dünes Haus herumbog, glühte, als würde frisches Blut aus Poren im Fels herausquellen. Sängerling seufzte. Hätte Düne sein Morgenritual nicht unterbrochen, wäre er inzwischen schon auf dem Plateau. Dort strahlte das Licht von Vater Sonne zuerst hin, und Kreuz… Sängerling genoß immer diesen zeitlosen Augenblick, wenn die Welt wieder glühend zum Leben erwachte.
    Ja, du wirst dich daran gewöhnen. Du heißt Sängerling. Er fächerte sich das lange schwarze Haar um die Schultern und hoffte, es würde ihn wärmen. Trotz Hemd und Umhang liefen ihm Kälteschauer über den Rücken.
    Warum muß dieser alte Mann mich so quälen? Er behandelt mich schlechter als einen Sklaven. Um die Schauer zu unterdrücken, trat er auf der Stelle, wo seine Füße im roten Sand versanken. »Heilige Thlatsinas, ich werde zu Eis!« brüllte er zum Haus, und eine weiße Atemwolke verdichtete sich vor seinem Mund. »Wenn du nicht herauskommst, in -«
    Düne zog den Türvorhang zurück und trat völlig nackt ins Freie.
    Sängerling erstarrte. Der alte Mann glich einem wandelnden Skelett. Wie ein Gitter versperrten die Rippen seinen Brustkorb, und die Arme und Beine glichen knotigen Stöcken. Zottiges weißes Haar hing ihm auf die knochigen Schultern.
    Düne erschauerte.
    »Kalt?« fragte Sängerling und lächelte.
    Als Antwort marschierte Düne zu einer Hausecke und schlug sein Wasser ab. Er tat es mit Schwenkungen, so daß der Strahl in Spiralen niederfiel; bernsteinfarbene Tropfen schimmerten im Dämmerlicht auf. Als er sah, daß Sängerling ihn beobachtete, lächelte er ihn ebenfalls an. »Dumm?« fragte er.
    Sängerlings Lächeln verschwand.
    Als Düne fertig war, schlenderte er aus dem Schatten des Felsens heraus und schaute nach Osten. Eine rosige Aura umhüllte ihn. »Wir haben noch Zeit.«
    »Wozu?«
    »Damit du lernst, daß du wahrhaftig das Kind von Vater Sonne bist.«
    »Das weiß ich schon.«
    »Da liegt das Problem. Du weißt schon zu verdammt viel.« Er stützte die Hände auf die spitzen Hüftknochen. »Zieh dich aus!«
    Sängerling riß den Mund auf. »Da laufe ich doch blau an -«
    »Hast du Angst, als Neugeborener vor Vater Sonne zu treten?«
    »Als… als Neugeborener?« Sängerling dachte nach. »Nein, ich habe keine Angst.« Schüchtern nahm er den Umhang ab, zog sich das Hemd aus und ließ beides zu Boden fallen. Um die Leggings und die Sandalen auszuziehen, mußte er sich hinsetzen. Roter Sand überzog seinen ungeschützten Körper. Er löste den letzten Sandalensenkel und beobachtete dabei, wie sein Skrotum sich schrumpfend zusammenzog. »Und jetzt?«
    Düne wedelte mit einer klauenartigen Hand. »Jetzt geh auf die Klippe. Sei dort, wenn Vater Sonne aufsteigt. Aber heute, Sängerling, begegne ihm wie ein Säugling. Sprich nicht, geh nicht, steh nicht. Tu so, als wüßtest du nichts, nicht einmal, wie man kriecht.«
    »Aber wenn ich dort hinkommen soll, muß ich laufen.«
    Düne sah ihn von der Seite an. »Bei deinem Stolz, Junge, fürchte ich, wirst du sehr lange laufen müssen, bevor du entdeckst, daß es kein ›dort‹ gibt, wo du hinkommen kannst. Aber«, seufzte er, »ich werde für dich beten.«
    Er wandte sich um und ging ins Haus zurück. Der Teekessel

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