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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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das Kind zu verlieren, plötzlich zu wissen, daß sie nie in seine wachen Augen blicken würde - das war ein Schlag, der die Seele betäubte.
    »O Mutter«, sagte Milbe wimmernd. Sie kniete sich neben Sternjägerin, schlang die Arme um den nassen Körper ihrer Mutter und hielt sie ganz fest.
    »Wolkenspiel«, sagte Nachtsonne. »Tauch die Streifen noch einmal ein und wringe sie aus.« Wolkenspiel tauchte die beschmutzten Streifen in das warme Yucca-Wasser und drückte sie aus. Nachtsonne wusch das Baby gründlich und deutete müde auf die aufgerollte Decke, auf der Süßwasser gesessen hatte. »Gib mir diese Decke. Der Kleine friert.« Sternjägerin legte plötzlich keuchend eine Hand auf den Boden und stöhnte, als die Nachgeburt hinausfloß. Milbe stützte sie bei der Wehe.
    Wolkenspiel brachte die Decke, und Nachtsonne wickelte das Baby sorgfältig darin ein, bis nur noch das Gesicht hervorschaute, so daß sie sicher sein konnte, seine Seele bliebe in der ganzen langen Nacht, die vor ihm lag, schön warm.
    Morgen würde sein Clan ihn bekleiden und über seinem Körper singen. Verwandte würden Geschenke und ihre feinsten Decken bringen und ihn dann in der Erde unter einem Zimmer begraben, dort, wo seine Mutter ging, in der Hoffnung, daß seine Seele eines Tages wünschte, wieder in ihren Schoß zu kommen, um wiedergeboren zu werden.
    Nachtsonne betete, es möge so sein.
    Sie ging zu Sternjägerin, legte ihr das tote Baby in die Arme und sagte: »Halte ihn eine Weile, Sternjägerin.«
    Sternjägerin küßte ihren toten Sohn zärtlich auf die Stirn.
    Nachtsonne sagte: »Wolkenspiel, bitte wasch die Stoffstreifen noch einmal aus. Milbe und ich werden Sternjägerin waschen und hier aufräumen. Sie muß dann schlafen.«
    Die Gesänge draußen in der Kiva hörten auf. Vielleicht hatten die Männer erkannt, daß die Wehenschreie aufgehört hatten.
    Ihr heiligen Himmelsgötter - Nachtsonne hatte Weißwedelhirsch, den Vater, vergessen. Er würde doch wissen wollen, wie es seiner Frau und dem Kind ging.
    Es gab ein Getöse, Füße kamen klappernd die Kiva-Leiter empor, dann tappende Schritte, als ein Mann über die Plaza lief.
    »Sternjägerin!« rief Weißwedelhirsch. »Süßwasser?«
    Nachtsonne ging geduckt aus der Tür hinaus in die grelle Wintersonne, um ihn auf halbem Weg zu treffen.

9. K APITEL
    Kreuzdorn zog sich leise im Licht der Dämmerung sein langes glattes Webhemd an, seine HirschlederLeggings und die Yucca-Sandalen, bemüht, Düne nicht aufzuwecken. Der heilige Mann schlief auf der anderen Seite des Hauses, in eine verblichene graue Decke gewickelt, nur der weiße Schopf sah heraus. Er hatte die ganze Nacht geschnarcht - es war die Art von Schnarchen, bei der die Erde bebt. Kreuzdorn hatte nur wenig Schlaf gefunden.
    Als er die Sandalen zuschnürte, schaute er sich gähnend um. Das Feuer war bis auf einen Rest von Glut heruntergebrannt. Tee vom gestrigen Abend war noch in einem Tontopf am Rande der Glut, vermutlich noch warm. Aber Kreuzdorn durfte sich keinen Tee nehmen, schon seit drei Tagen nicht. Düne hatte ihm aufgetragen, vier Tage lang zu fasten und bei Tagesanbruch immer auf die Mesa zu klettern. Erstaunt hatte Kreuzdorn festgestellt, daß Hunger seinen Verstand wachhielt und sein Herz für die kaum hörbaren Stimmen der Thlatsinas, die auf der Mesa lebten, empfänglich machte. Kreuzdorn griff nach seinem Umhang, der mit einer Mischung aus Sonnenblumen-Blütenblättern und Bodenflechten leuchtend gelb gefärbt worden war. Als er ihn über die Schulter warf, kam eine Feldmaus unter dem Türvorhang hereingeschlichen und schnüffelte. Jede Maus im Umkreis eines Tagesmarsches wußte, daß Düne Maisbrotkrümel auf das Kopfende seiner Schlafmatte fallen ließ. Die Maus huschte über den Boden und fing mit wippenden Schnurrhaaren fröhlich an zu knabbern. Kreuzdorn schaute fasziniert zu, wie die Maus sich durch Dünes Haar kämpfte, um noch mehr zum Frühstück zu bekommen. Düne wälzte sich herum und schob die Decke hinunter, so daß sein zahnloses Lächeln sichtbar wurde. Kreuzdorn hatte das schon einmal gesehen, aber es setzte ihn immer wieder in Erstaunen. Er folgerte, die Maus müsse wohl des alten heiligen Mannes Geisthelfer sein. Das war die einzige Erklärung dafür, daß man dieses Geschöpf nicht mit einem Hieb zerschmetterte und in den Schmortopf warf. Kreuzdorn ging auf Zehenspitzen zur Tür und tastete mit der Hand hinter den schäbigen Vorhang, um die Luft draußen zu prüfen. Kalt. Sehr

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