Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
sicher sind. Dann gehen wir -«
»Das Kind kommt!« rief Sternjägerin. Sie packte Nachtsonne am Arm und mühte sich, die richtige Haltung einzunehmen.
»Wolkenspiel!« sagte Nachtsonne scharf. »Hilf mir, sie aufzurichten.«
Wolkenspiel sprang vorwärts, um den Arm von Sternjägerin zu packen.
Der ganze Körper der Gebärenden wurde geschüttelt, und ihr Stöhnen steigerte sich zu hilflosen Schreien. Sie warf sich hin und her, bäumte und bog sich, und die Tränen rannen ihr übers Gesicht. Als sie schrie, hielt sich Spottdrossel die Ohren zu und kreischte: »O Heiliger Vater Sonne, laß meine Mutter nicht sterben! Bitte, laß meine Mutter nicht sterben.«
»Süßwasser, um Unserer Mutter Erde willen, bring Spottdrossel hier heraus«, rief Nachtsonne. Die alte Frau trippelte murrend heran, nahm Spottdrossel bei der Hand und zerrte sie hinaus. Man hörte ein Klatschen. Spottdrossel schrie schrill auf, wie ein Tier, das von einem Pfeil in den Bauch getroffen wird.
Sternjägerin fiel auf ihren Arm und keuchte: »Bitte, mach, daß mein Baby kommt… bitte… bitte …« Wolkenspiel schaute flehentlich auf Nachtsonne; glaubte sie etwa auch, daß Nachtsonne mit einem Gebet das Leiden beenden könnte? Die Kinder von Wolkenspiel waren in weniger als einer Zeithand auf die Welt gekommen, und sie selbst war in weniger als zwei Zeithänden wieder auf den Beinen gewesen. Diese unsäglichen Schmerzen mußten sie zutiefst erschrecken.
»Wolkenspiel«, sagte sie sanft, »wir wollen Sternjägerin wieder vorsichtig auf die Schlafmatte legen. Ich muß mal nach dem Kind sehen.«
Sternjägerin ächzte, als Nachtsonne in sie hineingriff; sie wälzte sich hin und her und sagte immer wieder: »Hilf mir, Wolf. Hilf mir, Wolf. O heilige Thlatsinas…« Dann schrie sie auf und packte Nachtsonne und Wolkenspiel am Arm, um sich nach vorn zu ziehen.
»Sehr gut, Sternjägerin«, sagte Nachtsonne und beobachtete die Flüssigkeit, die aus der Gebärmutter kam. »Das Kind kommt. Ich kann das Hinterteil sehen, das kommt zuerst. Wolkenspiel, hilf mir, sie höher zu heben.«
Sternjägerin stand fast aufrecht, die zitternden Beine gespreizt, auf beiden Seiten gestützt von Nachtsonne und Wolkenspiel. Wie ein Boot, das hohe Wellen abreitet, bewegte sie sich auf und ab, schluchzend, und klammerte sich an den Arm von Nachtsonne.
Das Baby glitt in einer Blutpfütze auf die weichen Decken heraus.
Nachtsonne sagte: »Du hast einen Sohn, Sternjägerin. Du hast recht gehabt.« Nachtsonne untersuchte den nassen, blutbefleckten Säugling, und sie erschrak zutiefst. »Er… er ist sehr schön.« Sternjägerin lachte und weinte, als sie auf die Matten zurückgelegt wurde. Nachtsonne griff nach ihrem Bündel und holte ein Obsidian-Messer heraus, durchschnitt die Nabelschnur und verknotete sie. Sternjägerin schnaufte. »Ich möchte ihn sehen«, sagte sie. »Bitte, zeig ihn mir.«
»Noch einen Augenblick«, sagte Nachtsonne. »Milbe, reich mir die nassen Tuchstreifen.« »Ja«, erwiderte Milbe und nahm die inzwischen abgekühlten Streifen von dem Stock. Nachtsonne säuberte den Säugling liebevoll vom Blut, hob ihn an den Füßen hoch und schüttelte ihn. Sternenjägerin lächelte und streckte die Arme aus, um ihr Baby zu empfangen.
Nachtsonne schüttelte es. Wieder und wieder.
Wolkenspiel legte die Hand vor den Mund. Milbe kam mit großen Augen langsam näher. Als wäre die Zeit stehengeblieben, so erstarrten ihre Gesichter; sie sahen aus wie in Holz geschnitzt. Nachtsonne schlug den Jungen auf den Rücken und aufs Hinterteil, drehte ihn rechts um und schüttelte ihn hin und her. Das Köpfchen hing schlaff herunter.
Sie hob ihn an den Fußgelenken hoch und schüttelte ihn abermals.
»Nachtsonne?« fragte Milbe. »Ist er…«
Nachtsonne zögerte. »Ja«. Sie unterdrückte ihre Trauer und wiegte das tote Baby sanft in den Armen. Sternjägerin weinte. Die Laute rissen Nachtsonnes Herz entzwei; sie hatte selbst drei Neugeborene verloren, zwei Jungen und ein Mädchen. Ein Kind hatte man ihr abgenommen, bevor sie es überhaupt sehen konnte. Mondelang hatte sie gehört, wie es sie anrief… und immer wieder anrief. Es war ein Frauenschicksal, das kein Mann je ganz verstehen konnte. Da hatte sie mondelang zu dem Kind gesprochen, hatte im eigenen Körper gespürt, wie es sich bewegte, hatte im Traum gesehen, wie es heranwuchs, und eine ungeheure Liebe war erblüht, eine Liebe, die mit keiner anderen Liebe zu vergleichen war. Die Erschütterung darüber,
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