Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
durch einen Felsspalt hinab, in den Kiefernäste ragten. Ein kleiner Tümpel glitzerte am Fuß des Hangs, umgeben von Hirsch-, Kaninchen- und Vogelfährten. Hier war die Jagd leicht. Sie hatten bereits ein Kaninchen zum Abendessen in der Schlinge gefangen.
Während Vogelkind die Beute häutete und im kalten Wasser wusch, holte Maisfaser eine Handvoll angesengter Baumwolle und zwei unbehauene Feuersteine aus ihrem Bündel. Eine Mulde im Sandstein enthielt noch alte Asche. Sie säuberte die Mulde und legte die zusammengeknüllte Baumwolle hinein, darüber trockene Piniennadeln und Reiser - nicht zu viele, sonst würde der Zunder die Flamme auslöschen, und statt zu brennen, würde es nur rauchen. Sie schlug die Steine heftig aufeinander und erzeugte Funken, die nach mehreren Versuchen die Baumwolle zum Glühen brachte. Schnell legte Maisfaser ihre Steine beiseite und blies in die Glut.
Orangefarbene Flämmchen fraßen sich durch die Nadeln und leckten an den Reisern. Sie fügte immer größere Holzstückchen hinzu, bis ein richtiges Feuer in Gang gekommen war, und dann setzte sie ihren Tee-Dreifuß zum Anwärmen an den Rand des Feuers. Sie hatte geschrumpfte Hagebutten und Wacholderbeeren gesammelt, die sie ins Wasser gab. Der Innereien-Behälter schwankte und knarrte. »Vogelkind«, rief sie, »wie weit ist das Kaninchen?«
Vogelkind hielt den abgezogenen Körper hoch und lächelte. »So gut wie fertig.«
Im Schein des Abendrots hielt er das Kaninchen mit seinen kurzen Fingern zum letzten Mal ins Wasser, um es abzuspülen. Er hatte die breiten Backenknochen seiner Mutter und die Augen seines Vaters, aber seine eigene Stupsnase. Langes schwarzes Haar hing ihm über den Rücken, passend zu den eingewobenen schwarzen Rauten in seinem hellbraunen Hemd. Er sieht ihnen so ähnlich. Ich nicht. Warum ist mir das nie aufgefallen?
Unsicherheit nagte an ihrer Seele. Maisfaser betrachtete prüfend ihr Lager. Wacholder, dachte sie, könnte überall wachsen. Der kleinste, mit Erde aufgefüllte Spalt im Fels beherbergte einen Baum, der zweimal so groß war wie sie. Als die Abendkühle zunahm, überließ der Wacholder seinen Duft dem Wind, der ihn überall verteilte.
Vogelkind kniete sich neben sie. »Wo hast du dein scharfes Messer?«
»Hier, in meinem Bündel.« Maisfaser holte ihre Obsidianklinge heraus; sie war so groß wie ihre Hand, aber nur fingerbreit.
»Ich halte das Kaninchen«, sagte Vogelkind, »und du zerteilst es.« Er zog ein Hinterbein gerade und hielt es ihr hin.
Maisfaser schnitt sorgfältig durch die rosigen Muskeln und hinab zum Gelenk. Sie mußte die Klinge durch die zähen Sehnen ziehen, um in das Gelenk zu kommen, dieses durchtrennen und auf der anderen Seite des Gelenks weiter durch das Fleisch schneiden.
Das Bein blieb in Vogelkinds rechter Hand, und das restliche Kaninchen hing in seiner linken. »Schneid noch das andere Hinterbein ab, und den Rest heben wir uns fürs Frühstück auf.« »Gut. Wart mal, ich will das Bein aufspießen und fertigmachen. Dann schneide ich das andere ab.« Maisfaser zog einen langen, dünnen Stecken aus dem Stapel neben dem Feuerloch, stach ihn durch das Bein und stellte ihn am Rand des Feuers ab. Dann nahm sie die Klinge wieder auf. Während sie schnitt, schaute Vogelkind in den zwielichtigen Himmel hinauf. »Gibt wahrscheinlich eine klare Nacht, und dann wird es sehr kalt.«
»Scharfer Frost am Morgen.« Sie arbeitete sorgfältig, um die Finger ihres Bruders nicht zu verletzen. »Wenn wir gegessen haben, holen wir noch mehr Holz und rücken unsere Decken dicht zusammen. Wir werden's uns gemütlich machen.« Sie schaute auf und bemerkte seinen sorgenvollen Gesichtsausdruck. »Was ist los, Bruder?«
Das Bein fiel in Maisfasers Hand; sie nahm einen anderen Stecken aus dem Stapel. Vogelkind sah zu, wie sie ihn durch die Sehnen im unteren Bein stach und in die Nähe der Flammen stellte. Das erste Bein brutzelte schon, Fett tropfte auf die Glut. Es roch köstlich.
Vogelkind ging mit dem Rest des Kaninchens zum nächsten Baum. Mit der Schnur, die er als Gürtel benutzt hatte, band er dem Kaninchen die Vorderbeine zusammen und schlang die Schnur über einen hohen Ast, um das Fleisch vor hungrigen Tieren zu schützen. Er verknotete die Schnur und wandte sich um. Das Kaninchen pendelte hinter ihm. »Du bist sehr ruhig gewesen«, sagte er. »Stimmt etwas nicht?«
Maisfaser hätte ihm allzu gern erzählt, wie verwirrt sie sich fühlte, weil sie das versteckte Kind war. Aber
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