Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
wenn er tot ist, verspreche ich, meinen Schlagstein mitzubringen, und ich werde ihm persönlich das Gesicht einschlagen, um seine Seele zu befreien. Es sei denn, seine Verwandten hätten ihn schon kopfüber in ein Loch geworfen und einen Sandsteinblock auf ihn drauf fallen lassen.«
Sängerling keuchte mit offenem Mund. Heiliger Monsterjäger! Wer so etwas über einen Häuptling zu sagen wagte, wäre doch in aller Regel auf den Kopf geschlagen und höchst unfeierlich den Coyoten vorgeworfen worden. Und Düne hatte so etwas gerade zu dem größten lebenden Kriegshäuptling gesagt.
Eisenholz stützte die Hände in die Hüften. »Pack deine Sachen zusammen, Ältester, wir müssen sofort aufbrechen.«
»Du mußt sofort aufbrechen, Hauptmann. Ich -«
»Aber Düne«, wandte Sängerling ein und schluckte schwer. »Du hast mich gelehrt, daß wir großherzig und freundlich sein müssen. Wenn der Häuptling dich braucht -«
»Das tut er nicht. Noch nicht.«
»Düne«, sagte Eisenholz, sichtlich bemüht, seine Worte sorgfältig zu wählen. »Wenn du nicht für den sterbenden Häuptling kommen willst, kommst du dann für den Sonnenseher? Nordlicht braucht dich vielleicht noch mehr als Krähenbart.«
Düne stützte sich auf einen knochigen Ellenbogen. Sein Ausdruck veränderte sich. Zum ersten Mal sah er nun wirklich besorgt aus. »Warum? Was ist geschehen?«
»Einer meiner Läufer, Verhüllt-Seinen-Schwanz, ist gestern abend ermordet worden. Er hatte eine Dachspfote in der Faust und Leichenpulver -«
»Hexenwerk!« stieß Sängerling hervor und wich einen Schritt zurück.
Eisenholz warf ihm einen schnellen Blick zu. »Ja. Die Stadt ist verrückt vor Angst. Die Leute -« »Und dein anderer Läufer?« fragte Düne.
»Mein anderer…« Eisenholz wirkte verstört. »Woher weißt du, daß ich -«
»Ist Fichtenzapfen tot?«
Eisenholz machte eine ziellose Handbewegung. »Wir wissen nur, daß er nicht nach Krallenstadt zurückgekehrt ist.«
Düne kam brummend auf die Beine und ging weg.
Verwirrt trottete Sängerling hinter ihm her; Eisenholz bildete die Nachhut, leichtfüßig und schnell. Als sie die weiße Hütte mit dem durchhängenden Dach erreichten, trat Düne geduckt ein. Sängerling und Eisenholz blieben draußen stehen und blickten sich verlegen an. Ein einzelner Flötenton wurde hörbar, dann der Plumps eines Bündels auf dem Boden.
»Er packt«, sagte Sängerling.
Eisenholz beachtete ihn nicht; er blickte starr auf den wehenden Vorhang. Unbeholfen setzte Sängerling hinzu: »Er ist ein sehr heiliger Mann. Ich bin sicher, daß er helfen wird, so gut er kann. Er…«
Düne kam aus dem Haus; er hatte ein sauberes braunes Hemd an, seinen Wanderstab und ein Bündel in der Hand. Er warf das Bündel neben einen Beifußstrauch und marschierte direkt auf Sängerling zu. Er fiel auf die Knie, senkte den Kopf und beschied ihn: »Das wird eine schwere Reise. Sing für mich!« »Was… was denn ?«
»Sing! Bevor ich einen Fluch ausspreche, über dich und all deine ungeborenen Kinder.« Sängerlings Arme schössen in die Höhe, und er sang den ersten Gesang, der ihm in den Sinn kam: Fern im hohen Norden
liegt die Straße des Werdens, wo Wolkenblumen blühen.
Und… eh… Blitze sich sammeln noch … was… geschieht und
Regentropfen fallen -!«
»Und außerdem«, sagte Düne, als er sich erhob, »gibt es Sänger, die den ganzen Text kennen.« Beschämt biß sich Sängerling auf die Lippen.
Düne starrte ihn düster an, schulterte sein Bündel, ging an Eisenholz vorbei und sagte: »Beeilen wir uns!«
»Mach dir keine Sorgen, Ältester«, rief Sängerling ihnen nach. »Ich wünsche dir eine gute Reise. Ich werde nicht heimgehen, das verspreche ich. Wenn du zurückkommst, findest du mich hier.« Über die Schulter brüllte Düne zurück: »Denk an das, was ich dir gesagt habe. Halte deine Zunge im Zaum und übe, ein Käfer zu sein. Und vergiß nicht, die Mäuse zu füttern.«
Sängerling murmelte: »Ich hasse Mäuse.« Aber er schrie: »Vergesse ich nicht.«
14. K APITEL
Vater Sonne hatte sich vom Himmel zurückgezogen, aber der Nachglanz seiner Herrlichkeit spiegelte sich noch auf den flachen Felswänden und verwandelte die wacholderbesetzte Senke, in der Maisfaser und Vogelkind saßen, in ein leuchtendes Mosaik aus Purpur, Tiefgrün und zartestem Gold. Maisfaser zog sich den rot-weißen Umhang fest um die Schultern. Einen idealeren Ort hätten sie nicht finden können. Wasser sprudelte aus dem Sandstein und rann
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