Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Ersten Menschen getroffen«, sagte er. »Erinnerst du dich?«
»An wen?«
»An Spannerraupe. Viele Sommer lang ist er nicht gekommen, aber früher ist er jeden zweiten Frühling in Lanzenblattdorf vorbeigekommen. Ich erinnere mich an ihn, weil Vater über seine Geschichten so gelacht hat.«
Maisfaser durchforschte ihr Gedächtnis. Es gab viele alte Freunde, Männer und Frauen, die die Eltern überraschend besuchten. »Warte mal… War er ein Krieger?«
»Ja.«
Jetzt erinnerte sie sich, aber sehr widerwillig. Er hatte sie immer so seltsam angesehen - als wäre sie kein Kind mehr, sondern eine erwachsene Frau. Er hatte ihr angst gemacht. Wenn Spannerraupe zu Besuch kam, hielt sich Maisfaser immer eng an die Mutter. »Vielleicht wollte er ein Auge auf dich haben. Oder auf mich.«
»Ich weiß nicht, aber -«
Sie fuhren beide zusammen, als ein Mann aus den Schatten trat, hochgewachsen und muskulös, mit zwei kurzen Zöpfen, die ihm auf die breiten Schultern fielen. Er machte einen Schritt auf sie zu, und der Feuerschein fing sich in den gelben Fäden seines langen Hemdes, als wäre er in einem Netzwerk von Flammen eingeschlossen.
»Steinerne Stirn!« schrie Vogelkind aufspringend. »Was machst du hier?«
Der Krieger kam näher. »Ich bin seit gestern früh hinter euch her.« Schlamm verkrustete sein Gesicht. »Warum?«
Steinerne Stirn hockte sich ans Feuer, um sich die Hände zu wärmen. »Ich bin unterwegs nach Krallenstadt, und eure Eltern haben mich gebeten aufzupassen, daß ihr die Dörfer eurer Verwandten auch sicher erreicht. Aber an der Gabelung habe ich gesehen, daß ihr andere Pläne hattet.« Er drohte mit einem Finger. »Wer von euch ist denn auf den Gedanken gekommen, auf dem Weg hierher durch jede Felsöffnung zu kriechen? Ich hab mir beinahe den Knöchel gebrochen.«
Vogelkind warf Maisfaser einen Blick zu.
»Wir wollten einfach nicht, daß uns jemand folgt. Wie hast du uns gefunden?«
Steinerne Stirn lächelte. »Ab und zu haben die Yucca-Sohlen eurer Sandalen einen kleinen farbigen Kratzer auf dem Sandstein gemacht. Aber ich habe lange gebraucht, um eure Spur wiederzufinden.« Maisfaser murrte: »Ich wußte, wir hätten die Mokassins nehmen sollen.«
»Die sind auf Kaktusstacheln nicht so gut wie Sandalen«, sagte Vogelkind, »und wir sind ja heute durch ein Meer von Dornen gewatet.«
»Hast du Hunger, Steinerne Stirn?« fragte Maisfaser und deutete auf den Kaninchenrest am Baum. »Wir schneiden dir gern ein Stück davon ab.«
»Nein.« Er hob eine Hand. »Ich hab in der ganzen letzten Zeithand getrocknetes Fleisch gekaut. Aber ich könnte etwas von diesem köstlich duftenden Tee gebrauchen.« »Wo ist deine Tasse?« Er schlüpfte aus seinen Bündelriemen und grub darin nach seiner Tasse, die er sich vollschenkte und trank. Der Dampf stieg ihm ins Gesicht. Er goß sich noch einmal ein und trank wieder. »Das tut gut«, sagte er.
Vogelkind lächelte.
Maisfaser betrachtete ihn allerdings mit Unmut. Die Eltern hatten gesagt, sie wollten ihn nach Krallenstadt schicken, damit er dort die Lage prüfte und ihnen Bescheid gäbe, falls Krähenbart sterben sollte. Aber sie hatten offenbar auch gefürchtet, daß Maisfaser etwas Unvorhersehbares tun könnte - was sie ja gern tat. Einerseits war ihre Sorge herzerwärmend, andererseits …
»Steinerne Stirn.« Sie hatte ein ungutes Gefühl, als wäre ein böses Geschick mit ihm eingetreten. »Da du uns gefunden hast, was wirst du jetzt tun?«
Er streckte seinen stämmigen Körper auf dem Sandstein aus und machte eine vage Handbewegung mit der Tasse. Der Schein des Feuers erhellte seine dunklen Augen wie ein Sonnenaufgang. »Eure Eltern haben gesagt, ich soll dafür sorgen, daß ihr sicher zu den Dörfern eurer Verwandten kommt. Und das wird morgen früh geschehen. Wir gehen zur Weggabelung zurück, und dann werde ich -« »Du willst uns hier wegschleppen, obwohl wir gar nicht gehen wollen!« sagte Maisfaser unwillig. Steinere Stirn grinste, seine weißen Zähne blitzten im Feuerschein. »Genau. Notfalls mit Waffengewalt.«
Maisfaser ergriff die zwei Kaninchenspieße und drückte einen in Vogelkinds Hand. Er nahm ihn mürrisch an.
Sie biß herzhaft in das heiße Fleisch. Kauend blickte sie Steinerne Stirn düster an. »Nur gut, daß du dein eigenes Essen dabei hast.«
Steinerne Stirn grinste. »Du bist immer schwierig gewesen. Ich habe angenommen -« »Auch gut, daß du deinen Bogen dabei hast«, fügte sie hinzu, »denn ich komme nicht mit.« Die
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