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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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aufgekrempelt, um besser arbeiten zu können, aber die Säume schleiften über den festgetretenen Boden.
    Sängerling leckte sich nervös über die Lippen. »Anmalen… wie denn?«
    Die Ermüdung verzog Dünes Gesicht zu einem Netzwerk von Falten, in dem seine kleine runde Nase beinahe unterging. Die weißen Haare in seinen buschigen Augenbrauen standen in alle Himmelsrichtungen.
    »Male weiße Tupfen in geraden Linien auf die Beine«, erklärte Düne, »sie symbolisieren seine Verwandtschaft mit den Abendleuten. Mal von den Lenden angefangen bis zu den Knöcheln, aber die Linien müssen ganz gerade verlaufen. Der Wolf-Thlatsina, der den Einlaß zu den Himmelswelten überwacht, soll wissen, daß Krähenbart ein Himmelsgeborener ist, so wie jeder Stern.« Sängerling nickte, tauchte seinen Zeigefinger in die Farbe und zog Krähenbarts Hemd bis übers Skrotum hoch. Der Penis glich einem gerade ausgeschlüpften Küken in einem grau bereiften Nest aus Schamhaar. Die Gase der Verwesung hatten den Hodensack so aufgebläht, daß er aussah wie ein übergroß ausgefallenes Ei. Sängerling erschauerte, als er das feuchtkalte Fleisch berührte; ein unbehagliches Gefühl machte sich in seinem Magen breit.
    Zwischen den einzelnen Tupfern lenkte er sich von dem Leichnam ab, indem er sich in dem großartigen Zeremonialraum umsah.
    Mit Edelsteinen besetzte Thlatsina-Masken hingen über den kleinen Wandnischen. Alle sechsunddreißig trugen einen leuchtend bunten Kopfschmuck mit blauen, gelben, roten und tiefschwarzen Federn Schneeweiße Flaumfedern von Adlern krönten viele Masken. Halskrausen aus verschiedenen Fellen, unter anderem von Bison, Dachs und Kaninchen, glichen Barten. Aber Sängerlings Augen blieben auf den scharfen Fängen und den Schnäbeln haften, die in der bernsteinfarbenen Glut des Feuers glänzten. Sängerling spürte tatsächlich ihre Seelen. Selbst in den leeren Augenhöhlen sah er ein seltsam spukhaftes Licht.
    Die runde Kiva maß mindestens hundert Hände im Durchmesser; vier rote Steinsäulen stützten sie, und drei Bankreihen standen ringsherum an den Wänden, jede mit ihrer eigenen geheiligten Farbe Gelb, Rot und Blau -, und über ihnen das Weiß der Wände.
    Eine andere Leiche lag auf der gegenüberliegenden Fußtrommel, von einer schönen Totendecke völlig zugedeckt; Sängerling konnte sich nicht vorstellen, wer das war.
    Er war mit einem Bein fertig und fing mit dem anderen an. Weil Düne damit mehr Erfahrung als Sängerling hatte, war er schon mit beiden Armen fertig. Er beugte sich über das Gesicht des Häuptlings, runzelte die Stirn und tauchte einen verkrümmten Finger in den Farbtopf. Er malte einen Halbmond über das linke Auge. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Sängerling. »Es sagt den Himmelsgöttern, daß Krähenbart etwas Besonderes war, ein berühmter Führer, und das Recht hat, als solcher behandelt zu werden.«
    Sängerling war mit dem rechten Bein fertig und setzte den Farbtopf auf dem Rand der Fußtrommel ab. »Was machen wir jetzt?« »Jetzt kommt der nächste Schritt. Paß genau auf!« Düne humpelte zu seinem Säckchen, das oberhalb von Krähenbarts Kopf lag. Die Malachit-, Türkis- und Jett-Perlen funkelten, als er darin herumstöberte und sechs Federn und zusammengerollten Baumwollbindfaden herauszog. Er zeigte das Sängerling. »Diese Sachen werden ihm die Fähigkeit verleihen, in die Himmelswelten zu fliegen.«
    Er band eine Feder an ein paar Haare von Krähenbart, eine an jede Hand und jeden Knöchel. Dann zog er den Bindfaden unter dem Rücken von Krähenbart durch und befestigte eine Feder über seinem Herzen.
    »Wenn Krähenbart oben auf der heiligen Buckelkuppe angelangt ist«, sagte Düne, »werden diese Samenfedern aufsprießen, und im nächsten Augenblick wird sein ganzer Körper mit Federn bedeckt sein.
    Dann wird er lange, spitz zulaufende Flügel haben, so wie der Präriefalke, von dem die Federn stammen.«
    Sängerling faltete die Hände, in Staunen versunken. Natürlich hatte er schon für die Bestattung zurechtgemachte Leichen gesehen, aber das Ritual blieb ein Geheimnis. Nur sehr heilige Leute wußten, warum man die Dinge so machte, wie man sie machte. In tiefster Seele konnte er sich die großartige Verwandlung vorstellen und den toten Häuptling schauen, wie er durch die Himmel schwebte.
    »Beim nächsten Teil kannst du mir helfen.« Düne nahm ein kleines Lederfutteral aus seinem Säckchen. Eine rote Spirale und ein blauer Blitz waren daraufgemalt. »Mach die

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