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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Rauch.
    »Leg dir die Decke über den Kopf« - Düne machte es ihm mit seiner eigenen Decke vor - »und beuge dich über den Dampf. Sieh zu, daß der Dampf deinen ganzen Körper umfängt. Er ist ein Verwandter der Wolkenleute, die uns Regen und Leben bringen. Er vertreibt böse Geister, die vielleicht noch an dem Toten gehangen haben.«
    Sängerling tat wie geheißen und ließ sich von dem frischen Kiefernduft einhüllen, der seine Haut wärmte.
    Düne machte ein paar Schritte und kam mit zwei neuen Hemden zurück. Er schüttelte eines mit rotgoldenen Rauten aus und reichte es Sängerling. »Das ist deins.«
    Sängerling staunte offenen Mundes über das Muster. »Wie schön das ist.«
    Düne sah ihn angewidert an. »Gefällt dir, was?«
    »Natürlich. Wer könnte denn so ein -«
    »So bald wie möglich finde ich ein anderes Hemd für dich. Dann kannst du das weggeben.« »Aber warum darf ich es nicht behalten?«
    »Mein Junge, wenn ich diese Eitelkeit mit einem Stock aus dir herausprügeln könnte, würde ich es tun.«
    Sängerling biß sich auf die Lippen, ließ die Decke auf den Boden fallen und streifte das neue Hemd über. Der fein gewobene Stoff lag angenehm auf der Haut. Er strich das Hemd glättend über seine schmalen Hüften. »Und was passiert mit dem alten Hemd?«
    »Das wird verbrannt, zusammen mit meinem.« Düne zog sich ein blau-schwarzes Hemd an; es paßte so gut, als wäre es für ihn angefertigt worden. »Du mußt jetzt gleich auf dein Zimmer gehen, Sängerling. Und halte vier Tage lang sexuelle Abstinenz.«
    Sängerling errötete. »Ich habe Seide noch … nie berührt, Düne. Wir sind nur gute Freunde.« »Sieh zu, daß das noch vier Tage so bleibt.« Er streute die restlichen Harzkügelchen aus der Schale aufs Feuer. Gelbe Flammen schössen hoch, und Funken wirbelten zum Dachloch empor. Er hob die Schale hoch und schmetterte sie zu Boden, wo die Bruchstücke der anderen Töpfe schon lagen. Sängerling kniff die Augen zu und fragte den kleinen heiligen Mann neugierig: »Und was geschieht, wenn nicht? Wenn ich das Abstinenzgebot mißachte?« Ein Grinsen aus zahnlosem Mund erhellte Dünes Gesicht. »Die Abstinenz ist für uns der letzte große Schutz gegen das Übel, das auf der Lauer liegt. Wenn du das Gebot mißachtest und dir ein betrügerischer Geist bei der Paarung zusieht, dann könnte er die Gelegenheit nutzen, in deinen Penis kriechen und es sich da bequem machen. Und dann …« Er drohte mit dem Zeigefinger. Unvermittelt ging er an Sängerling vorbei zu den Stufen.
    »Und dann? Was dann?« fragte Sängerling, der ihm folgte.
    Aus dem Altarraum traten sie in den fahlen Lavendelschleier des Zwielichts. Die Klippe hatte sich purpurn gefärbt, der Himmel einen kalten schieferblauen Ton angenommen. Fledermäuse flitzten über die Stadt, zwitschernd und abtauchend, und der rötliche Schein der Wärmeschalen in den Zimmern der Stadt besprenkelte die weißen Mauern mit rosigem Schein. Die vielen Gespräche ergaben ein leises Stimmengewirr.
    Düne holte tief Atem und füllte seine Lungen mit frischer Luft. »Du hast dich gut gehalten, mein Junge. Ich bin stolz auf dich. Sei vor Tagesanbruch wieder hier.«
    »Ja, Düne. Vielen Dank. Ich habe viel gelernt, aber ich wünschte, du würdest mir sagen -« »Schlaf gut, Sängerling.« Düne grinste. »Ich sehe dich morgen in aller Frühe.«
    Er humpelte zu seinem Zimmer, und Sängerling sah ihm nach. Düne erkletterte die Leiter, immer eine Sprosse nach der anderen, und ging über das Dach des ersten Stockwerks. Sein weißes Haar hatte den bleichen Schimmer einer Orchidee. Sängerling beobachtete ihn, bis er die Leiter in sein Zimmer hinabgeklettert war und verschwand.
    Er drehte sich um, in die Richtung seines eigenen Zimmers, und flüsterte: »Und dann? Was dann?«

S ECHSTER T AG
    Ich hocke auf einem schmalen Sims und schaue auf einen Wasserfall, den Tauwasser speist. Das eiskalte Wasser stürzt über die Steine, gurgelnd und grollend, hinab in einen kleinen Teich, hundert Hände tiefer. Der Teich liegt in einer Wiese. Auf beiden Seiten steht je ein junge mit einem Tischspeer in der Hand, sie sind etwa neun oder zehn Sommer alt. Ich habe sie lachen hören, als sie Tische fingen und von Stein zu Stein sprangen. Auf der Wiese stehen hohe Kiefern verstreut. Ein Rotschwanzbussard kreist dicht über den windgezausten Wipfeln; sein Schatten huscht über den Teich und die freudig erregten Gesichter der Jungen.
    Raubtiere. Wir sind alle einander so ähnlich,

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