Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
klebten, und warf Stewart einen irritierten Blick zu. »Die Mississippi sind das Volk, das die großen Erdhügel in Cahokia in Illinois, in Spiro, Oklahoma, in Moundville, in Alabama und an etlichen anderen Orten aufgeschüttet haben.«
»Ah, ja, jetzt klickt es«, sagte sie. Natürlich wusste sie darüber Bescheid, aber ihre vermeintliche Unwissenheit entlockte Stewart wirklich interessante Kommentare. »Ich bin sicher, sie wurden in diesen langweiligen Archäologie-Seminaren, die ich belegen musste, hie und da einmal erwähnt.« Stewarts Nasenflügel begannen zu flattern.
»Und das hier?« Sie zeigte auf die glänzende Pfeilspitze in dem zerbrochenen Tongefäß. »Das sieht aus wie Obsidian.«
»Gratuliere«, feixte Stewart. »Sind Sie Gesteinsexpertin?«
»Ich …«
»Maureen«, unterbrach sie Dale, »das ist Yellowstone-Obsidian. Er stammt aus dem nördlichen Wyoming.«
»Wyoming?« Maureen musterte skeptisch die beiden Skelette. Sie lagen gekrümmt da, auf der Seite, die Knie angezogen. Der rechte Arm der Frau befand sich unter den Rippen des Mannes, ihr linker Arm ruhte auf seiner Schulter - als ob sie ihn umarmte. Maureen war zutiefst gerührt. Diese Frau musste den Mann sehr geliebt haben.
Sie blinzelte in die Sonne, als sie Stewart ansah. »Wie kommen Mississippi-Halsbänder und Yellowstone-Obsidian nach New York?«
Stewart beugte sich zu ihr und flüsterte: »Bedeutet Ihre Frage, dass Sie die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass Außerirdische diese Gegenstände angeschleppt haben?«
Maureen dachte kurz über eine passende Antwort nach. »Sind Sie Wissenschaftler oder ein Talkshow Master?«
»Weder noch«, blaffte er zurück. »Ich bin Archäologe.«
Maureens Gesichtszüge gefroren. Sie nickte steif. »Gute Antwort, Stewart.«
Seine Mundwinkel krümmten sich zu einem Lächeln, das jedoch nicht bis zu den Augen reichte. Maureen beugte sich wieder über den Rand der ausgehobenen Grube. »Sind das Kordelabdrücke auf den Tonscherben?«
»Jawohl, Doktor, das sind Kordelabdrücke«, bestätigte Stewart.
Viele alte Indianervölker verzierten ihre Tongefäße mit einfachen Ornamenten, indem sie vor dem Brennen mit Schnüren umwickelte Holzstäbe in den feuchten Ton pressten. Diese Scherben erinnerten Maureen jedoch stark an Princess-Point-Keramiken. Die Archäologen datieren die Hochblüte der Princess-Point-Kultur auf einen Zeitraum zwischen 500 und 1000 n.Chr. Geographisch gesehen umspannten die Siedlungen der Princess-Point-Kultur das Gebiet des südlichen Zentral-Ontario, von Long Point zum Niagara-Fluss, entlang des Nordufers des Erie-Sees und um das westliche Ende des Ontario-Sees, und reichten nördlich bis an den Credit-Fluss heran.
Auch in New York fand man bei Ausgrabungen etliche Tongefäße, die denen der Princess-Point sehr ähnlich sahen - möglicherweise handelte es sich dabei um Nachbildungen anderer Völker. Auch diese hier konnten solche Nachbildungen sein.
»So«, meinte Dale, »was halten Sie von den Skeletten?«
»Recht spektakulär«, antwortete Maureen. »Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der mit einer so ausgeprägten Achondroplasmose alt geworden ist. Normalerweise stirbt man daran schon bei der Geburt. Sehen Sie nur die …«
»Sag mal, Dale, spricht die Dame gerade unsere Muttersprache?«, erkundigte sich Stewart gespreizt. »Versuch einfach zuzuhören, Dusty«, raunte Dale. »Ich erkläre es dir später.«
Stewart lüpfte eine Augenbraue. »Dir zuliebe.«
»Danke. Bitte, Maureen, fahren Sie fort.«
»Sehen Sie sich diese starke Lordose im lumbalsakralen Wirbelbereich an, die kurzen Gliedmaßen und die bogenförmigen unteren Extremitäten …«
»Wollen Sie damit auf gut Amerikanisch ausdrücken«, fiel ihr Stewart mit wachsendem Interesse ins Wort, »dass dieser Mann ein Zwerg war?«
Maureen nickte. »Ganz recht.«
Empört warf Stewart die Arme in die Höhe. »Allmächtiger! Dale, das hätte ich dir auch sagen können! Musstest du für diese atemberaubende Diagnose eigens eine Spezialistin herzitieren?« Dales Mundwinkel krümmten sich ein wenig. »Und weiter, Maureen? Können Sie das ungefähre Alter bestimmen?«
Maureen studierte den Schädel des männlichen Skeletts. Bei der Geburt sind die Knochen des Schädeldachs dünn und elastisch. Die Nähte, die Verbindungen der Schädelknochen, sind offen, damit das Gehirn wachsen kann. »Nun, die kranialen Nähte sind verknöchert, aber nicht nur das. Sehen Sie sich die epiphysealen Knorpelplatten an. Ich
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