Voyeur
Sie.»
«Nicht doch.»
«Ich war fest entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen.» Sie rieb sich noch einmal die Augen.
«Sie müssen sich nicht entschuldigen.»
«Ich möchte nur nicht, dass Sie denken, ich würde beim geringsten Anlass in Tränen ausbrechen. Ich bin darüber hinweg.»
«Kein Problem, wirklich.»
«Aber es hat mich ein bisschen durcheinandergebracht, als ich gestern wieder in die Wohnung gekommen bin. Alles war unverändert,
und ich dachte …» Ihr kamen wieder die Tränen. «Ach, Mist.»
|311| Ich bot ihr ein Taschentuch an, doch sie schüttelte den Kopf. «Nein, alles in Ordnung, danke. Ich muss mich einfach daran
gewöhnen, wieder hier zu sein, das ist alles. Es ist ein bisschen härter, als ich dachte.»
«Sie dürfen nicht zu viel von sich erwarten. So etwas geht nicht von heute auf morgen.»
«Ja, ich weiß. Als ich weg war, ging es ganz gut, aber jetzt, wo ich zurück bin … hier ist alles so wie immer, wissen Sie? Nichts hat sich verändert.» Sie holte tief und bebend Luft. «Es wird besser werden,
wenn ich den Rest von Martys Sachen weggeräumt habe. Gestern Abend war es ein bisschen so, als würde man in einen Schrein
kommen. Seine ganzen Sachen sind noch da. Als wenn er jeden Augenblick reinkommen würde.» Sie zuckte mit den Achseln. «Aber
ich weiß, dass das nicht passieren wird. Ich werde wahrscheinlich nie herausfinden, was mit ihm geschehen ist, aber ich
werde lernen müssen, damit zu leben. Und je schneller, desto besser.»
Sie lächelte mich traurig an. «Das ist jedenfalls die Theorie. Aber leichter gesagt als getan, was?»
«Ich finde, Sie halten sich bemerkenswert gut.»
«Nur äußerlich.» Sie streckte sich und schniefte die letzten Tränen weg. «Egal, jetzt bin ich das losgeworden. Wie sieht’s
mit einem Kaffee aus?» Jetzt lächelte sie etwas überzeugender. «Diesmal schütte ich ihn nicht auf Ihren Schoß, versprochen.»
Es war das letzte Mal, dass Anna in meiner Gegenwart von ihren Gefühlen überwältigt worden war. Während der nächsten Tage
hatte ich gelegentlich den Eindruck, dass ihre Heiterkeit nur eine Fassade war. Doch es war sowohl in meinem als auch in
ihrem Interesse, dass sie unangetastet blieb. |312| Ich ließ eine Woche verstreichen, damit sie Zeit hatte, sich wieder einzugewöhnen.
Dann rief ich Zeppo an.
*
Mein Plan war, ihn über einen Zeitraum von ein paar Wochen allmählich wieder einzuführen. Zeppo hatte allerdings andere Vorstellungen.
Trotzdem verlief das erste Treffen der beiden recht glatt. Es war in demselben Restaurant, in dem wir ihn bereits einmal
«zufällig» getroffen hatten, und er benahm sich tadellos. Zufrieden bemerkte ich, dass sich Anna anscheinend aufrichtig
freute, ihn zu sehen.
«Du siehst großartig aus», sagte Zeppo zu ihr. «Wo warst du noch? Tunesien?»
«Genau. Und du siehst auch aus, als wärst du weg gewesen. Dass du die Farbe hier gekriegt hast, kannst du mir nicht erzählen.»
Zeppo sah tatsächlich sehr gebräunt und fit aus. Die beiden passten gut zusammen. Ich wurde mir plötzlich meiner fahlen Blässe
bewusst.
«Ich war für ein Shooting in der Karibik», sagte er. «Zwei Wochen Dominikanische Republik. Toll.»
«Kann ich mir vorstellen.»
Ich sagte nichts. Obwohl ich Zeppo nicht mehr gesehen hatte, seit ich ihn bei mir rausgeworfen hatte, hatte ich ihn während
Annas Abwesenheit ein paarmal zu Hause angerufen. Wenn er in letzter Zeit tatsächlich in der Karibik gewesen war, dann war
es mir neu.
«Und, wie geht es dir jetzt?» Er hatte einen leicht besorgten |313| Tonfall angenommen, damit Anna wusste, was er meinte. Anna quittierte es mit einem Lächeln und einem Nicken.
«Okay, danke.»
Ich war überrascht von seinem Taktgefühl. Und mehr als ein bisschen erleichtert. Als wir am Abend zuvor miteinander sprachen,
hatte ich ihn gewarnt, dass Anna noch nicht über das Geschehene hinweg war. Er hatte keinerlei Verständnis gezeigt.
«Keine Sorge. Sobald sie meine Hand in ihrem Höschen spürt, wird es ihr bessergehen», hatte er gesagt.
Mir war zwar klar, dass er mich nur ärgern wollte, aber ich vertraute ihm dennoch nicht ganz. Ich wollte nicht, dass er
Anna zu schnell bedrängte; weder wenn ich dabei war noch, was schlimmer wäre, wenn ich nicht dabei war. Doch an diesem
Nachmittag gab er mir keinen Anlass zur Beschwerde. Er benahm sich anständig und machte ihr gegenüber keine Annäherungsversuche,
die mir aufgefallen
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