VT03 - Tod in den Wolken
auf die Beine zu kommen. Aber es gelang ihm nicht. Er sank zurück und hob den Kopf. Auf einem der Sessel entdeckte er eine Frau. Nabuu blinzelte. Er kannte das Gesicht unter dem schwarzen Kopftuch. Prinzessin Lourdes! Nein, nicht Lourdes, die hatten die Gruh. Also musste es ihre Zwillingsschwester sein.
Schwerfällig hob er die Hand und deutete ein Winken an. »Prinzessin Antoinette«, lallte er. »Du musst uns helfen.« Seine Zunge war schwer wie ein Sack Mehl. »Gruh, die Gruh!« Ein Schlag verschloss seinen trockenen Mund. Er hörte die Stimme des spitzbärtigen Kommandanten. »Will er sein Leben gleich hier aushauchen?«
Während Nabuu das Blut von seinen gesprungenen Lippen leckte, beobachtete er, wie der Spitzbart sich vor der Prinzessin verbeugte. »Prinzessin, erlaubt mir zu sprechen!«
Die pinkfarbenen Fellstiefel der Herrscherin klopften auf den Boden. Ihre grelle Stimme ließ Nabuu zusammenzucken. »Rede er! Und beeile er sich, damit wir das Urteil vollstrecken können!«
»Nach gründlichem Verhör bleibt der Kilmalier bei seiner Geschichte, dass Fremde eure Schwester entführt haben. Diese Angaben decken sich mit denen eures Witveer-Lenkers. Die beiden haben ein totes Exemplar der Entführer mitgebracht.« Der Kommandant machte eine Pause und zupfte an seinem Spitzbart. »Wir haben einen Blick darauf gewagt und kamen zu dem Schluss, dass der Kilmalier die Wahrheit sagt. Natürlich nur, wenn Eure Excellenz damit einverstanden sind.«
Nabuu hielt die Luft an. Wenn er recht verstanden hatte, war der Kommandant doch noch zur Vernunft gekommen! Jetzt lag es wohl an Antoinette, das weitere Vorgehen zu entscheiden.
Die Prinzessin hatte aufgehört, den Teppich mit ihren Füßen zu bearbeiten. Ihre pinkfarbenen Fellstiefel schwebten einen Moment lang in der Luft, bevor sie mit einem dumpfen Geräusch wieder auf dem roten Flor landeten. Antoinette zog ihre Stirn kraus. Es sah aus, als ob sie angestrengt nachdachte. Schließlich nestelte sie ein Spitzentaschentuch aus dem Ärmel ihres Gewandes und ließ es zu Boden fallen. Sofort war ein älterer Mann im blauen Samtanzug an ihrer Seite und beugte sich an ihr Ohr. Er flüsterte etwas und half der Prinzessin auf die Beine. Danach zog sich seine gedrungene Gestalt diskret zurück.
Im Saal herrschte angespannte Ruhe. Nur das raschelnde Geräusch einiger Fächer, die vor gepuderten Gesichtern hin und her wedelten, war zu hören.
Antoinette begann nun, auf dem zehn Meter langen Podest auf und ab zu schreiten. Unter jedem ihrer Schritte vibrierte der Boden unter Nabuus Kopf. Wieder versuchte er sich aufzurichten. Diesmal schaffte er es, auf die Knie zu kommen. Erleichtert stellte er fest, dass sein Sehvermögen langsam zurückkehrte.
Die Prinzessin war gerade am anderen Ende des Aufbaus angelangt. An ihrem Rücken klaffte ein weißer Stofffetzen aus einer geplatzten Naht ihres Kleides. Ihre Hände lagen verschränkt über ihrem breiten Gesäß. Als sie sich umdrehte, fiel ihr Blick auf Nabuu. Irrte er sich, oder entdeckte er so etwas wie Furcht in ihren großen dunklen Augen? Scheute sie davor zurück, sich den Gruh anzusehen?
Als hätte Antoinette seine Gedanken gelesen, schnippte sie mit den Fingern. »Ich wünsche diesen Gruh zu sehen! Danach treffe ich meine Entscheidung!«
Sofort gab der Spitzbart ein Zeichen. Innerhalb von wenigen Minuten lag das graue Leinenbündel auf dem roten Teppich. Nabuu rappelte sich auf. Ein bestialischer Gestank ging von dem Bündel aus. Der Hauptmann klappte die Enden des Tuches zur Seite. Die Prinzessin wich zurück. Aus den vorderen Reihen ertönten spitze Schreie. Allgemeines Raunen und Seufzen erhob sich.
Diesmal hielt Nabuu niemand auf, als er sich über den Toten beugte. Kleiderfetzen hingen an dem dürren Körper. Strähnige Haarbüschel bedeckten seinen knochigen Schädel. Aus tiefen Höhlen starrten die Augen. Die Pupillen schimmerten grau, so wie auch die Haut des Gruh.
Jetzt war der Zeitpunkt, etwas zu sagen. Nabuu leckte sich die Lippen. »Darf ich sprechen?« Seine Zunge war immer noch schwer, aber die Worte kamen verständlich aus seinem Mund.
Ohne den Leichnam aus den Augen zu lassen, nickte die Prinzessin wortlos.
»Sie bewegen sich wie Schlafwandler. Trotz ihrer geringen Körpermasse sind sie stark wie ein Lioon. Sie tragen keine Waffen, außer diesen hier!« Nabuu deutete auf die Hände des Wesens. Sie hatten die Form einer Klaue, und aus den langen Fingern ragten dunkel schimmernde Krallen. »Sie sind
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