VT05 - Tag der Vernichtung
Verbeek beschert hatte.
Hahn hieß mit Vornamen René und hatte auf der Insel Sansibar für eine evangelikale Missionsgesellschaft in einer christlichen Schule gearbeitet. Es war nicht einfach, mit ihm zu reden, weil er ständig von Gott, Jesus und solchen Sachen sprach und dazu mit Bibelzitaten um sich warf. Er kannte Sprüche aus der Bibel, die hatte van der Groot sein ganzes Leben noch nicht gehört. Zum Beispiel: Wo viele Worte sind, geht es ohne Sünde nicht ab.
Nach dem Mittagessen legte Hahn sich zum Schlafen an die Wand neben der Zellentür, denn es gab nur acht Pritschen und sie waren zu zehnt. Nach dem Mittagsschlaf, als er vom Pinkeln aufstand und bevor er sich wieder in seine Bibel vertiefen konnte, nahm van der Groot seine Chance wahr und startete den dritten Versuch, ein vernünftiges Gespräch mit dem Schweizer zu führen.
»Eine Frage noch, Herr Hahn. Sie sagten, alle Ihre europäischen und amerikanischen Brüder und Schwestern wären von Regierungstruppen verhaftet und abtransportiert worden. Die Einheimischen also nicht?«
»Doch.« Hahn drückte die Spüle. »Ein tansanischer Pfarrer. Er hatte am Sonntag gepredigt, dass der Präsident mit dem Teufel im Bunde steht.«
»Oh! Und was wirft man Ihnen und Ihren Brüdern und Schwestern denn vor?«
»Sie behaupten, wir würden zu einer landesweiten Verschwörung gehören, die ein Attentat auf den Präsidenten plant. Sie behaupten sogar, wir hätten den Kometen herbei gebetet….«
»Komet? Was für ein Komet?«
»… dabei haben wir uns öffentlich von dem tansanischen Bruder distanziert.« Er ließ sich neben seinem Bündel und seiner Bibel an der Wand nieder.
»Warum das denn?«, staunte van der Groot.
»Weil die Schrift sagt: jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat…«
»Verstehe. Aber…«
»… denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung…«
Wenn van der Groot etwas gelernt hatte in den vergangenen neun Monaten hinter Gittern, dann war es dies: geduldig zu warten. Geduldig wartete er also ab, bis Hahn das Bibelzitat beendet hatte. »Verstehe«, sagte er dann so freundlich es ihm möglich war. »Aber was glauben Sie, hat die Regierung von Tansania derart gegen Sie und Ihre Brüder und Schwestern aufgebracht?«
»Der Teufel.« René Hahn schlug seine Bibel auf. »›Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge‹, spricht die Schrift. Und der Teufel hat dem Präsidenten eingeflüstert, die Kinder Gottes zu verfolgen. Eine Prüfung Gottes ist das, weiter nichts. Sie hört irgendwann auf, die Liebe Gottes aber höret nimmer auf.«
»Verstehe«, sagte van der Groot, obwohl er Hahn nicht ganz folgen konnte und ihn wegen seines Schweizer Akzents auch nicht besonders gut verstand. Einige seiner schwarzen Mitgefangenen versammelten sich um Hahn. Einer der Männer, ein Lehrer, schien Englisch mit Schweizer Akzent gut zu verstehen, denn er begann Hahns Worte in einen Bantu-Dialekt zu übersetzen.
»Auch du bist nicht zufällig hier, Jan.« Hahns Gesichtszüge wurden seltsam weich und sein Blick glasig. »Gott hat dich in diese Zelle geführt, damit du über deine Sünden nachdenkst, damit du die Bilanz deines Lebens ziehen und endlich umkehren kannst. Und was für eine Fügung! Jetzt hat er mich zu dir geschickt, um dir den Weg zu Jesus zu zeigen.«
Murmelnd pries er den Herrn, blätterte dabei in seiner Bibel und las eine Stelle vor, in der es um einen Zollbeamten ging, der Jesus von Nazareth mal zum Essen geladen hatte. Van der Groot drehte sich demonstrativ um und hörte weg. Hahn wandte sich an die Tansanier, die sich zu ihm gesetzt hatten, und predigte ihnen.
In den letzten Tagen hatte van der Groot schon öfter Stimmen von Ausländern durch das Treppenhaus des Gefängnisses gellen hören: Niederländisch, Englisch, Französisch, Deutsch, alle möglichen Sprachen waren darunter gewesen. Auch waren viel mehr neue Gefangene mit dunkler Haut an seiner Kerkertür vorbei geführt worden als sonst; gebildete Männer zum größten Teil.
Van der Groot fragte sich, was wohl los sein mochte in der Stadt. Hahns Dolmetscher, der Lehrer, hatte selbst keine Ahnung, und van der Groot besaß kein Geld mehr, um einen Wächter zu bestechen, damit er ihm eine Zeitung besorgte.
Auch den Kontakt zu einem Anwalt oder zum niederländischen Konsulat verweigerte man ihm
Weitere Kostenlose Bücher