VT06 - Erstarrte Zeit
rief Karl der Große ihnen hinterher. »Bleiben Sie bei mir! Geben Sie mir ein Beruhigungsmittel!« Van der Groot nickte Knox zu und machte kehrt.
Er nahm neben dem hyperventilierenden Tyrannen Platz, fühlte dessen Puls und maß dessen Blutdruck. »Ganz ruhig atmen, mein Kaiser«, sagte er mit sanfter und ruhiger Stimme. »Tief und ruhig atmen, so ist es gut.«
»Wie undankbar die Welt doch ist, Professor«, jammerte Karl der Große. »Wie undankbar und schlecht, finden Sie nicht auch?«
»Es gibt keine Gerechtigkeit mehr, mein Kaiser, und Dankbarkeit schon gar nicht, da haben Sie völlig Recht.« Van der Groot nahm das Stethoskop aus den Ohren und löste die Manschette des Blutdruckgerätes. »Ihr Blutdruck ist ein wenig hoch, aber das kommt sicher von der Aufregung.«
»Hab ich diesem Deutschen nicht alles gegeben, was das Herz begehrt, Professor? Einen Arbeitsplatz, einen Dienstwagen, einen hoch dotierten Posten und, was das Wichtigste ist, mein Vertrauen! Und jetzt hintergeht er mich so schamlos und grausam, ist das nicht furchtbar, Professor?« Es fehlte nicht viel, und der schwarze Hüne wäre in Tränen ausgebrochen.
»Es ist ein Elend«, sagte van der Groot. »Aber so sind sie, die Deutschen: Man reicht ihnen den kleinen Finger und sie greifen sich die ganze Hand.«
Erstaunt musterte der Tyrann seinen Leibarzt und Chef Wissenschaftler von der Seite. »Wie meinen Sie das, Professor?«
»Nun, die Deutschen sind ein eigenartiges Volk, wissen Sie?« Knox kam herein, reichte van der Groot eine Ampulle und eine Spritze und eilte wieder aus dem Speisesaal. »Bei uns in Europa sagt man: Entweder liegen die Deutschen dir zu Füßen oder sie hängen dir an der Kehle.« Er betrachtete die Ampulle: zehn Milligramm Diazepam. Van der Groot zog es auf und staute die Ellenbeugenvene des Tyrannen.
»So?«, sagte Charles Poronyoma heiser. »Sagt man das in Europa?«
»Aber ja doch.« Van der Groot spritzte das Beruhigungsmittel. Auch jetzt ließ er wieder eine Chance ungenutzt verstreichen. Doch er musste behutsam vorgehen, wollte er sein Leben und das seiner Vertrauten nicht gefährden. »Fast alle Völker in Europa haben ihre einschlägigen Erfahrungen mit den Teutonen gemacht, das kann ich Ihnen versichern, mein Kaiser.« Der Professor öffnete den Stauschlauch, zog die Nadel aus der Vene, drückte eine Kompresse auf die blutende Einstickstelle.
»Ist das wirklich wahr?« Der Tyrann wurde schon schläfrig. »Ja, ich hatte davon gehört, aber nie selbst schlechte Erfahrungen gemacht…«
»Jetzt haben Sie die Erfahrung gemacht. Und danken Sie Gott: Sie haben sie überlebt.« Van der Groot beobachtete, wie die Lider des Kaisers seine Augen schon halb verschlossen. Diese Gelegenheit nun wollte van der Groot nicht ungenutzt verstreichen lassen. »Ich möchte Ihnen vorschlagen, mir alle sechs Gefangenen zu Testzwecken zu überlassen, mein Kaiser. Es sind nämlich alles gesunde und gut geeignete Personen, während ich mit dem Rosenheimer nichts anfangen kann. Der Mann muss krank im Kopf sein, das hat man ja jetzt gesehen.«
»Das hat man ja jetzt gesehen«, wiederholte der Kaiser mit schon schwerer Zunge. »Arme, arme Nyanga. Der Rosenheimer muss in die Salzsäurewanne, Sie haben völlig Recht, Professor… Alle meine Feinde sollen sehen, was dem widerfährt, der mir… besonders die Deutschen…«
Karl der Große schlief ein.
Am frühen Abend erst war der Tyrann wieder so weit fit, dass er sich aus eigener Kraft auf den Beinen halten konnte. Knox übernahm die Aufgabe des Zeremonienmeisters und stellte einen Ledersessel auf einen erhöhten Platz mitten in der Gemeinschaftshalle. In ihm hing der Tyrann, während an die dreitausend Menschen in die Halle strömten und ein Kommando von Folterknechten den armen Eddie herein brachte.
Der Rosenheimer schrie, während man ihm die Kleider vom Leib riss und ihn am Hebelifter festband. Er schrie und zappelte, während der Henker ihn über die Wanne schwenkte und langsam ins dampfende Nass hinunterließ.
Die meisten Zuschauer stöhnten vor Entsetzen auf. Viele wandten sich vom Podest und der Großbildleinwand ab, einige übergaben sich. Der Tyrann aber blinzelte schweigend zur Hinrichtungsstätte, wo der Mann aus Rosenheim aufhörte zu schreien.
***
Kilimandscharo, 19. Februar 2012
Nach einer Woche war es so weit: Im Höhlendorf, tief im Bergmassiv, fanden Wahlen statt. Über dreihundert Männer und Frauen versammelten sich in der Haupthöhle, um ihre Stimmen
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