VT06 - Erstarrte Zeit
abzugeben.
Percival hätte es niemals für möglich gehalten. Staunend betrachtete er die Warteschlange der Menschen vor der Wahlurne. »Ohne deine Hartnäckigkeit hätten wir das nicht hingekriegt«, sagte er zu Leila. Die steckte das Kompliment ohne Widerspruch ein, obwohl sie wusste, dass allein mit ihrer Hartnäckigkeit nicht viel gewonnen gewesen wäre.
Es waren ein bisschen Glück und eine Menge Fleiß nötig gewesen, um all die verängstigten und verzweifelten Menschen davon zu überzeugen, dass sie ohne Organisation und Regierung keine Chance hatten.
Glück, weil Dagobert und Donald den Ethnologen Wilson und Leila den deutschen Lehrer Krieger schon im ersten Anlauf von ihrer Idee überzeugen konnten. Krieger gehörte in seinem Heimatort dem Gemeinderat an und kannte sich aus mit Wahlen und Politik. Überhaupt schien es nichts zu geben, womit er sich nicht auskannte. Dazu kam, dass er selbst scharf auf die Präsidentenrolle war und eine enorme Wahlkampfaktivität entfaltete.
Glück auch, weil Roger Wilson nicht nur Bantu sondern darüber hinaus fließend Swahili sprach. Die kenianischen Flüchtlinge, nicht ganz unerfahren in Sachen Demokratie, überzeugte er praktisch im Alleingang.
Fleiß, weil Dagobert und Donald in tagelangen Gesprächen Major Mogbar von dem Projekt überzeugten. Jeder wusste: Ohne Mogbar und seine Waffen und seinen Sprengstoff war das Projekt zum Scheitern verurteilt.
Glücklicherweise sprach der Offizier Englisch. Im Wesentlichen waren es drei Argumente, die den ziemlich sturen Major überzeugten: die Möglichkeit, selbst zu kandidieren, die Aussicht, mit Verstärkung Poronyomas Bunker zu knacken, und vor allem eine rotblonde, sommersprossige Schweizerin, die Bert Krieger die Gefolgschaft kündigte und in die starken Arme des Militärs flüchtete.
Nach drei Tagen endlich hatten Donald und Dagobert den Major so weit. Danach zogen sie mit ihm und Roger Wilson von Bantusippe zu Bantusippe, um den Tansaniern die Vorteile einer Gesellschaftsordnung mit frei gewählter Regierung zu erklären. Der Major redete auf seine Landsleute ein, und Wilson übersetzte.
Hinzu kamen zwei Morde, drei Vergewaltigungen, etliche Diebstähle, akuter Wassermangel und Fleischknappheit. Die Verbrechen und die drohende Hungersnot überzeugten die letzten Zweifler von der Notwendigkeit einer starken, ordnenden Hand. So lief das nun einmal; nicht wesentlich anders als vor dem Komentencrash. Und so kam es also schon am zwölften Tag nach der Apokalypse zur Wahl.
Leila, Roger Wilson, die Männer des Majors und Dagobert und Donald organisierten den Ablauf. Die Stimmzettel fertigten sie handschriftlich an. Auf den Armeelastern fanden sich neben Munition und Sprengstoff zufällig auch ein paar Rollen Toilettenpapier, sodass sogar einheitliches Papierformat zur Verfügung stand.
Die Leute machten ihr Kreuzchen, warfen die zusammengefalteten Toilettenpapierblätter in einen extra zu diesem Zweck aufgeschlitzten alten Koffer und zogen sich dann an die Wände der Zentralhöhle zurück, um das Wahlergebnis abzuwarten.
Inzwischen waren auch die Kenianer aus den Tiefen des Höhlensystems in die Haupthöhle umgezogen. Die steigenden Temperaturen dort unten hatten sie heraus getrieben. Krieger behauptete, dass der Kilimandscharo ein Vulkan sei und der Kometeneinschlag eine gewisse Aktivität verursacht hätte. Niemand hörte ihm richtig zu, und da er in den Zeiten vor dem Kometen keine naturwissenschaftlichen Fächer, sondern Deutsch und Latein unterrichtet hatte, sahen auch Percival und Leila keine Veranlassung, seinen Verdacht ernst zu nehmen. Ein gewisses Gefühl der Beunruhigung blieb allerdings, denn Krieger kannte sich mit so ziemlich allem unter dem Himmel gut aus, wie gesagt.
Nach der Stimmabgabe zählte das Organisationskomitee dreimal die Zettel. Percival sah von weitem zu. Irgendwie beschlich ihn der Verdacht, dass dies die letzten freien Wahlen waren, an denen er teilnehmen sollte. Schwermut ergriff ihn.
Nach der Stimmauszählung gab Roger Wilson das Ergebnis bekannt, zuerst auf Bantu, dann auf Englisch, schließlich auf Swahili. »Bert Krieger dreiundsechzig Stimmen! Major Mogbar hundertelf Stimmen! Sir Thomas Percival zweihundertdreizehn Stimmen!«
Jubel brandete auf, doch es zeigten sich auch etliche lange Gesichter, vor allem bei Mogbar und seinen Leuten. Krieger war ein guter Verlierer – er gratulierte Percival mit säuerlicher Miene, und der Journalist machte ihn sofort zu seinem Bildungs- und
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