VT10 - Tod im Blut
die Tiere nach Norden ausgewichen.
»Ihr solltet nicht hinter jedem Flügelschlag ein Zeichen vermuten«, sagte Dingiswayo ruhig.
Ngomane schwieg zu alledem. Er war sich immer noch nicht sicher, was er von seiner rätselhaften Begegnung mit der Geisterfrau halten sollte. Es musste ein Traum gewesen sein, wenn Issa Maganga tatsächlich die Nacht bei der Frau des Ersten Viehhüters verbracht hatte. Also brauchte er auch ihre Warnung nicht zu beachten. Doch es war ihm so real vorgekommen!
Plötzlich klang ein Krachen durchs Unterholz: rhythmisch, träge und wie von großem Gewicht verursacht. Der Banzulu-Fürst blieb stehen, hob die Hand. Sein Trupp glitt lautlos auseinander, sicherte nach allen Seiten. Schnelle Herzschläge pochten, während die Männer darauf warteten, dass der Verursacher der Geräusche aus der Deckung kam. War es ein Hirnfresser’!
Ihre angelegten Speere sanken nur eine Winzigkeit, als sich die Büsche teilten und ein Wald-Efrant ins Freie trat, keine hundert Meter von ihnen entfernt.
Es war ein großer Einzelgänger mit zersplittertem Stoßzahn.
Er zerkaute eine Armvoll Schlingpflanzen, während er behäbig – quer zu den Banzulu – über den felsigen Untergrund trottete.
Vorsicht war geboten, denn Efranten konnten sehr aggressiv reagieren, wenn sie sich gestört fühlten. Besonders die wilden, einsam durch den Wald ziehenden Bullen.
Jeder Jäger wusste das. Deshalb fuhr Ngomane wie elektrisiert herum, als Tenga unvermittelt das Schweigen brach.
»Da! Da!«, raunte der junge Banzulu erregt. Er zeigte auf eine Stelle unweit des Weges, an der es weder Strauch noch Staude gab. Nur dunklen nackten Boden. Nebelfahnen stiegen von ihm auf. Hinter ihnen zeichnete sich eine Gestalt ab. Sie schien einen Knüppel zu halten, vielleicht sogar eine Machete.
Reglos stand sie da. Wie wartend.
»Das ist einer der Hirnfresserl« , flüsterte Tenga und nickte grimmig. »Ich töte ihn!«
Es ging alles so schnell.
Ngomane hatte noch Zeit, ein leises und sehr bestimmtes
»Nein!« zu fauchen. Es hielt Tenga, der schon einen Schritt gemacht hatte, am Platz.
Mbisi aber war nicht mehr zu stoppen. Er lief auf die Gestalt im Nebel zu, und über die Gründe dafür konnte Ngomane später nur spekulieren. Bestimmt wusste Mbisi von dem Patzer, den sich Tenga bei der gestrigen Ulungujagd erlaubt hatte.
Vielleicht wollte er dessen Fehlverhalten durch eine mutige Tat wieder ausgleichen. Vielleicht war er auch nur derselbe Heißsporn wie sein jüngerer Bruder.
Ngomane versuchte Mbisi zu retten, wollte ihn zurückrufen, denn er hatte erkannt, woher der Nebel kam. Hastig sah er sich nach dem Efrantenbullen um. Der war stehen geblieben, schwang seine Ohren nach vorn. Zu nahe, zu wild, zu gefährlich!
Ngomane presste die Lippen zusammen, hob den Speer.
Wenn er ihn an Mbisi vorbei schleuderte, würde sich der junge Banzulu umdrehen. Dann konnte er ihm ein Zeichen geben.
Doch es war schon zu spät.
Kurz vor der Schattengestalt bremste Mbisi ab und schwang seinen Speer. Der Luftzug dieser Bewegung brachte den Nebel zum Wallen, teilte ihn und gab die Sicht frei auf den vermeintlichen Hirnfresser. Es war ein totes Gehölz, von dem eine Liane herunterhing. Jetzt endlich drehte sich Mbisi um. Er lachte verlegen.
Am Boden glommen kleine Feuer auf, und Ngomane zerriss es innerlich, als er sah, wie sich der Gesichtsausdruck des Jungen veränderte. Unverständnis, Schrecken, heißer Schmerz…
Mbisi wollte wegrennen, doch es ging nicht. Er stand auf einer gigantischen, natürlich gewachsenen Röhre, die vom Mawenzi herunterkam und kochendes Magma transportierte.
Hier und da brach es durch die spröde Oberfläche. Mbisi klebte mit seinen nackten Fußsohlen daran fest. Flammen züngelten an ihnen hoch.
Er begann zu schreien. So gellend, voller Qual! Ngomane und Dingiswayo tauschten bekümmerte Blicke. Da war nichts mehr zu machen. Der Nebel, oder genauer: der heiße Dampf schoss mal hier, mal da aus dem Boden. Man konnte nicht einfach hinlaufen und den jungen Banzulu irgendwie losreißen.
Es wäre so nutzlos wie selbstmörderisch gewesen.
»Mbisi!«, brüllte Tenga entsetzt und wollte losrennen, Ngomane ließ den Arm vor ihn fallen, wie eine Schranke.
»Nein!«
»Er ist mein Bruder!«, keuchte Tenga.
»Und ich bin dein Nkosi! Ich befehle dir, an meiner Seite zu bleiben!«, rief der Banzulu-Fürst hart. Er ignorierte Tengas Ungeduld, den Widerstand, die Blicke voll verzweifelter Wut.
Ngomane wollte ihn nicht auch noch
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