VT10 - Tod im Blut
zu wissen, dass sein spartanischer Anführer wieder einmal nicht gefrühstückt hatte.
Ngomane schlang das Fleisch herunter, ließ sich anschließend Messer, Machete und Jagdspeer geben. Während er die Waffen an sich nahm, musterte er das schlafende Dorf.
Er konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Trotzdem fragte er, ob die Nacht friedlich gewesen sei – und runzelte die Stirn, als der Erste Jäger verblüfft auflachte.
»Friedlich?« Dingiswayo zeigte zum Himmel hoch. »Na ja, sie haben keine Schäden angerichtet, wenn du das meinst. Aber ihr Kreischen? Meine Güte! Du hast es ja sicher gehört. Muss ein riesiger Schwarm gewesen sein, so lange, wie das anhielt! Ich schätze, vor Monduntergang hat hier keiner ein Auge zuge…« Dingiswayo brach ab. Ngomane hatte ihn stehen lassen und war auf die Straße getreten. Man merkte es nicht gleich in der Dämmerung, doch da lagen überall vereinzelte schwarze Federn.
Ngomane hockte sich vor eine hin. Er griff nach ihr, hob sie auf. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte er, während er sie nachdenklich zwischen zwei Fingern zwirbelte.
»Aber die Geisterfrau meint, das wäre kein normaler Vogelschwarm. Sie kam gestern Nacht in meine Hütte, um mich vor dem Gang nach Kilmalie zu warnen.«
Ngomane sah nicht, wie seine Männer verstohlene Blicke tauschten. Der Erste Jäger räusperte sich.
»Nkosi«, sagte er im Tonfall des verständnisvollen Freundes, der er war. »Keiner aus deinem Volk würde es dir übel nehmen, wenn du wichtigere Dinge erledigen wolltest, als das Dorf der Toten zu besuchen.«
»Soll heißen?«, fragte Ngomane argwöhnisch.
»Nun, ja.« Dingiswayo trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Es… war ein harter Tag gestern. Du hast tapfer gekämpft und warst rechtschaffen müde…«
»Dingiswayo!«
»Äh… vielleicht hast du auch die besonderen Fähigkeiten der Geisterfrau geerbt. Sie ist schließlich die Schwester deiner Großmutter, und…«
»Ich warne dich, Dingiswayo!«
»Ndabe zita, Nkosi!« Der Erste Jäger verbeugte sich, mit L-förmig aneinander gelegten Händen. Er schwitzte, trotz der Kühle des frühen Morgens. Wahrscheinlich verfluchte sich Dingiswayo insgeheim dafür, dass er den Mund aufgemacht hatte. Jetzt musste er es zu Ende bringen. »Also, es ist so, Nkosi: Die Geisterfrau kann dir nur im Traum erschienen sein. Sie war nicht in deiner Hütte. Ganz sicher nicht.«
»Weil…?«
»Weil sie bei Tleto war, dem Ersten Viehhüter. Du weißt, er wohnt gleich neben mir. Seine Frau hat vorhin ein Kind bekommen. Issa Maganga war die ganze Nacht dort.«
»Dann hat mich ein Trugbild genarrt«, entschied Ngomane und schulterte den Jagdspeer. »Sei’s drum – ich wäre so oder so nach Kilmalie gegangen. Ich muss wissen, was dort vorgefallen ist.« Damit setzte er sich in Bewegung, und die anderen folgten ihm.
Die vier Banzulu kamen gut voran. Bei Sonnenaufgang waren sie schon tief ins Herz des Waldes ohne Namen vorgedrungen.
Dort durchquerten sie ein felsiges Gelände, das abseits der Wildpfade lag und aus großer Höhe betrachtet an eine knorrige Baumwurzel erinnerte. Sie hatte ihren Ursprung am Kilimandscharo und verjüngte sich in Richtung der ausgedehnten Kornfelder immer weiter, bis sie schließlich unter flacher Erde verschwand. Dieses Gelände war schwierig zu begehen, stellte aber den kürzesten Weg nach Kilmalie dar.
Ngomane hatte die Führung übernommen, Dingiswayo bildete die Nachhut, und es geschah nicht ohne Grund, dass die beiden erfahrenen Männer den Trupp sicherten. Im Morgengrauen war ein Platzregen niedergegangen, seitdem zeigte sich der Wald nicht eben von seiner freundlichen Seite.
Mit den steigenden Temperaturen begann der Regen zu verdampfen; Nebel geisterte um die Bäume, und was immer sich zwischen ihnen bewegte, war nur noch als huschende Schatten zu erkennen. Raubtiere hatten jetzt gute Chancen, Beute zu schlagen.
Doch die eigentliche Tücke dieses Szenarios fiel den Banzulu gar nicht auf: Beileibe nicht jeder Dampf am Boden war verdunstendes Wasser!
Tenga und Mbiti sprachen unterwegs von dem Schwarm, der letzte Nacht das Dorf überflogen hatte. Die jungen Banzulu hielten den ungewöhnlichen Anblick für ein Omen, aber Dingiswayo konnte sie beruhigen. Vogelschwärme fielen oft im Flachland ein, um Jagd auf die Frakken zu machen. Dass sie diesmal eine Route genommen hatten, die über kwaBulawayo führte, lag vermutlich am Mawenzi. Der Vulkan rauchte noch immer, und deshalb waren
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