VT10 - Tod im Blut
»Bei Muhnzipal jedoch«, fügte sie nach einem Moment hinzu, »sahen wir Hunderte von Skeletten verstreut liegen. Wir vermuteten, dass dies das Werk der Frakken war, deren Schwarm einige Stunden zuvor durchgezogen war.«
Dr. Aksela schauderte bei der Erinnerung. »Ihr habt Recht«, sagte sie. »Kurz nachdem Muhnzipal fiel und von den Gruh überrannt wurde, kam die tödliche Woge. So wurde die Geißel des Landes diesmal zu unserem Glück. Was aber nicht bedeutet, dass die Gruh ausgerottet wären. Wir wissen nicht, wie viele noch unter der Erde lauern – und jedes Opfer, das einen Angriff überlebt, wird unweigerlich selbst zum Gruh. Die Gefahr ist also längst nicht gebannt!«
Die Ärztin versuchte die Ereignisse der letzten Tage so knapp wie möglich zusammenzufassen. Tala hörte mit immer größer werdenden Augen zu.
»Dann habt ihr also noch gar kein wirksames Heilmittel!«, unterbrach sie die Heilerin schließlich.
»Nein. Das bisherige Anti-Serum verzögert die Vergiftung des Blutes nur. Ich bin aber sicher, dass ich eins finden werde, sobald es Marie wieder besser geht. Das Gruh-Gift hat auf sie keine Wirkung, aber ich muss erst noch ein paar Tage warten, bis sich ihr Zustand stabilisiert hat und ich ihr genug Blut abnehmen kann. Ich brauche eine große Menge davon, um es zu untersuchen und ein Serum daraus herzustellen. Bis die Prinzessin so weit ist, wird es noch eine Weile dauern.« Sie legte Tala die Hand auf den Arm. Es war Zeit für die Wahrheit.
»Zeit, die euer Freund vielleicht nicht hat.«
Tala starrte die Ärztin für ein paar Sekunden entsetzt an.
Schließlich stellte sie die Teetasse so hastig auf einen nahen Tisch, dass die Flüssigkeit fast überschwappte, und lief wieder zur Tür in den Nebenraum. Behutsam setzte sie sich auf die Bettkante. Ohne erkennbare Scheu strich sie Nabuu, dessen Haut immer grauer und fleckiger wurde, über das Gesicht.
Dr. Aksela blieb in der Tür stehen und betrachtete die beiden traurig. »Bitte seid vorsichtig. Wenn er euch verletzt, genügt ein Tropfen Körperflüssigkeit, euch zu vergiften und zu einem Gruh zu machen!«, warnte sie.
Tala blickte zu ihr. »Ich bin vorsichtig. Aber gibt es denn keine Hoffnung, Dr. Aksela?«
Die Ärztin zuckte hilflos mit den Schultern. »Man sollte die Hoffnung nie aufgeben.«
Tala wandte sich wieder ihrem Geliebten zu. »Nabuu…«
Nabuu schaffte es kaum, aus seinen düsteren Träumen aufzuwachen. Da war etwas an seinem Bett. Etwas Neues.
Nahrung!
Oder nein; Nahrung roch anders. Aber warum gibt es keine Nahrung?
Was außer Nahrung konnte so gut riechen? Hunger!
Er versuchte zu erkennen, wer da saß. Er kannte die Gestalt irgendwoher.
»Erkennst du mich nicht?«, fragte sie jetzt. Ihre Stimme klang vertraut. »Ich bin Tala! Tala! Mein lieber Nabuu…«
Etwas Weiches strich fast unmerklich über seine Hand.
Unangenehm. Hastig zog er die Hand weg.
»Nicht anfassen. Bin… krank.«
»Ja, ich weiß, Nabuu. Aber – vielleicht kannst du wieder gesund werden!«
Da war er wieder, der Hunger… Mühsam verdrängte Nabuu den Gedanken. »Geh weg. Wirst krank.«
Müde ließ er sich wieder zurücksinken. Es war anstrengend, sich gegen die dunkle Watte zu wehren, die seinen Kopf immer stärker einhüllte und nur diesen bohrenden und nagenden Wunsch nach Nahrung zurückließ…
***
Einige Tage zuvor
Ngomane fühlte sich wie gerädert, als er erwachte. Es war kalt in der Hütte, und blasse Morgendämmerung fiel durch den Eingang. Draußen krähte der erste Hahn.
Gähnend richtete sich Ngomane auf, streckte die schmerzenden Glieder und sah sich um. Er war auf dem Lepaadenthron eingeschlafen, irgendwann gestern Abend, und seine Frau hatte nicht gewagt, ihn zu wecken. Sie lag vor ihm am Boden, zusammengerollt wie ein Kätzchen.
Der Banzulu-Fürst stieg über sie hinweg und ging hinaus ins Freie. Düstere, böse Träume hatten ihn geplagt, deren lastende Schwere nur allmählich von ihm abfiel. Er warf einen Blick auf seinen Arm. Die Wunden, die der Ulungu gerissen hatte, waren verkrustet, allerdings fand sich an ihnen keine Spur einer heilenden Paste. Also hatte er wirklich nur geträumt! Issa Maganga war nie in seiner Hütte gewesen, und die Totenvögel stammten aus dem Reich der Nachtmahre.
Ngomane entdeckte seine Männer auf der anderen Straßenseite. Er hob flüchtig die Hand, als er zu ihnen trat.
»Bayete!«
»Bayete, Nkosi!«, scholl es halblaut zurück. Dingiswayo reichte ihm ein Stück Antilopenbraten; er schien
Weitere Kostenlose Bücher